Ausführliche Presseberichte und Reaktionen

PERSÖNLICHE KOMMENTARE

Der Film hat mich sehr bewegt, weil ich mich fast wie eine “Überlebende” gefühlt habe. Ich bin mit Spina bifida geboren, 1958, also lange vor jeder Diagnostik. Die hätte meiner Mutter dann sicher auch einen Abbruch nahegelegt. So hatte ich Glück! Die gesellschaftliche Entwicklung, Kinder nach Maß bekommen zu wollen und zu können und behinderte Menschen damit immer weiter auszugrenzen, ängstigt mich. Eine Diskussion ist nötig und Ihr Film ist da ein sehr, sehr guter Beitrag.

KERSTIN HAGEMANN, PatientenInitiative e. V. Hamburg

Kann mich nicht erinnern, vorher ein so klares und unideologisches Plädoyer für den Wert des Lebens gesehen zu haben.

JENS SCHANZE – Filmemacher, München

Ich war wirklich sehr sehr berührt von Ihrem Film, aber auch von Ihrer Stärke – zum Einen, was die Entscheidung als solche angeht, zum anderen von der Durchführung und Gestaltung dieser Entscheidung. Und davon, dass Sie es geschafft haben, tatsächlich einen Film daraus zu machen.

Ich halte es für sehr wichtig, dass Sie diesen Film gemacht und damit etwas der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben, was sonst überhaupt gar nicht einsehbar ist. Im Rahmen meiner Arbeit – ich arbeite viel im Bereich Medizinethik – habe ich immer wieder mit dem Thema der Pränataldiagnostik, aber auch der Beratungssituation zwischen Arzt/Ärztin und Patientin zu tun. Und ich weiß, wie überfordert sich Frauen in dieser Situation fühlen, wie überfordert sie tatsächlich sind – denn es ist ja etwas anders, ein behindertes Kind anzunehmen, wenn es da ist, als sich bewusst dafür zu entscheiden. Viele Frauen fühlen sich auch überrannt durch die kurzfristige Entscheidung, die sie über etwas so Wichtiges zu fällen haben. Auch deshalb ist Ihr Film von großer Bedeutung, denke ich.

KATRIN BETELE, Ethikerin, Universität Tübingen, 23.2.2005

Es sind schon so viele Monate her, seit ich Ihren Film gesehen habe. Doch er läßt mich nicht los und viele Male schon habe ich mit anderen über ihn gesprochen. Nicht nur, weil er mich bis in alle Tiefen berührt hat, sondern weil Sie etwas zu leben wagten, was ich (als Philosophin, Sozialpädagogin und Dichterin) als die menschlichste aller erfahrenen Utopien betrachte. Ihr Film hat Ihr Ringen darum gezeigt und Ihr Wachsen daran – wie auch das Wachsen Ihrer Kinder.

Ich danke Ihnen, dass Sie nicht nur den Mut hatten, Ihre Entscheidung so zu treffen und bis zum – keineswegs bitteren – Ende zu leben, sondern dass Sie auch den Mut hatten, dies anderen Menschen mitzuteilen. Ich bin überzeugt, dass wir nur so all den menschenfeindlichen Tendenzen in unserer Gesellschaft (auch und besonders denen in der Medizin) wirklich etwas entgegen zu setzen haben. Und dass wir mehr Gleichgesinnte sind, als uns unser Alltag manchmal glauben macht.

Ich selbst habe in meiner ersten Schwangerschaft das Buch “Die Last, die du nicht trägst” von Roswitha Geppert gelesen, die ein behindertes Kind bekommen hat. Viele haben mich damals für verrückt erklärt und behauptet, ich würde damit ja das Unglück (!) herausfordern. Aber ich habe immer mit dem Gedanken gelebt: Warum sollte MIR das NICHT passieren – und ich will mein Kind annehmen und lieben, wie es ist und von den Erfahrungen derer zehren, die mit behinderten Kindern leben oder deren Sterben begleitet haben. Inzwischen ist meine Tochter zwanzig Jahre alt und kerngesund und war eine der ersten, der ich von Ihrem Film erzählt habe… Und sie hat ihn weitererzählt und am Ende erreicht, dass er in Ihrer Ausbildung zur Waldorfpädagogischen Erzieherin gezeigt wurde! So ein großes Leben und Platz in so vielen Herzen hat Ihr kleines Kind!

MARION PELNY, Philosophin, Sozialpädagogin und Dichterin, 12.2.2005

Als Psychologin und Mutter von drei Kindern, von denen eines 1989 eine Woche nach der Geburt gestorben ist, betreue ich seit zehn Jahren Eltern nach dem Verlust eines Kindes. Sowohl persönlich als auch professionell hat mich Ihr Film sehr berührt. Er wirft sehr viele Gedanken und Empfindungen bei mir auf. Sie bleiben ja bei Ihrem persönlichem Erleben und drängen Ihren eigenen Weg niemandem auf, und das ist auch sehr gut so.

Ich habe auch Mütter bzw. Eltern betreut, die bei einer solchen Diagnose sich zur sofortigen Geburt des Kindes entschlossen haben. Auch da war ein Stück weit Frieden möglich. Ich habe neben Müttern gesessen, die ihr in der 22. Schwangerschaftswoche geborenes Kind hielten und in dieser Stunde Abschied von ihm nahmen. Diese Kinder können in Gießen genau so auf einem Kindergrabfeld beerdigt werden wie andere früh in der Schwangerschaft verstorbene Kinder. Wichtig in der Begleitung in dieser existenziellen Krise scheint mir vor allem das Einräumen von ZEIT und RUHE zu sein, vor der Entscheidung und danach. Auch der Kontakt zu anderen Betroffenen, z.B. über die Initiative REGENBOGEN, kann vielleicht bei der Entscheidungsfindung helfen.

Weiterhin: Sie haben, genau wie ich damals, gewisserma§en einen gnädigen Ausgang erlebt, indem Ihr kleiner Sohn sich ohne Qual vom Leben wieder verabschieden konnte. Es gibt auch das andere: Kinder, die lange leiden müssen, Familien, die sich in der Pflege eines schwerstbehinderten Kindes aufreiben, Ehen, die darüber zerbrechen. Nicht alles lässt sich durch großzügigere Hilfe auffangen. Letztendlich sind es die Mütter, die die schwerste Last zu tragen haben. Mir gab es schon zu denken, dass gerade eine Mutter, die bei der “Lebenshilfe” arbeitete, sich zum Abbruch entschied.

Sie erwähnten in der Diskussion das Wort “Vermächtnis” – das Vermächtnis Ihres Sohnes Martin Tim. Vielleicht ist der Film auch noch ein anderes Vermächtnis, das Ihres toten Bruders, dessen Namen wir nicht kennen. Ihre Mutter hat die schwere Last zu tragen, dass man ihr ihr eigenes Kind – womöglich sogar in der Absicht, sie zu schonen – vorenthalten hat. Wie gut, dass sich da mittlerweile vieles zum Besseren geändert hat: zu einem bewussten und würdevolleren Umgang mit den kleinen toten Menschen. Ich möchte ausdrücklich Ihrer Mutter meine Bewunderung aussprechen und ihr danken, dass sie an den Filmaufnahmen mitgewirkt hat – natürlich auch für ihr Da-Sein in dieser Situation. Der Friede, den alle Beteiligten an der Geburt erlebt haben, war, so hoffe ich, für sie auch ein Trost in ihrer eigenen Trauer.

Ich könnte noch viel mehr schreiben… Als Autorin kämpfe ich gegen die Anschauung, dass man sich von den Verstorbenen zu “lösen” habe, um das Leben fortsetzen zu können, “Trauer abschließen”, “damit fertig werden” oder so ähnlich. Ich glaube im Gegenteil, dass unsere geliebten Toten immer bei uns bleiben, dass natürlich ihre physische Existenz vergangen ist, aber dass sie uns zu Neuem, Sinvollem beflügeln können. So etwas ist “Mein kleines Kind”.

SILVIA BÖRGENS – Gießen

Ihr Film hat mich sehr bewegt und nachdenklich gestimmt.

DR. RENATE SCHMIDT, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 31.3.2004

Ich habe ihren Film vorgestern gesehen und war sehr beeindruckt. Ich habe mit Freunden lange darüber gesprochen. Sie haben da wirklich eine seelische Besiedlung dieses medizinischen Raumes geleistet, eine wirkliche Erweiterung von Menschlichkeit. Der Film wird für viele sehr bedeutsam und eine Ermutigung sein.

DR. LUDWIG JANUS, Psychoanalytiker – Heidelberg

3sat-Online-Forum mit Zuschauerreaktionen zum Film “Mein kleines Kind” zur Fernsehausstrahlung am 2. November 2003 / 21.15 Uhr

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG,
15. April 2003 – Ein kurzes Leben in Würde

Katja Baumgartens Dokumentarfilm “Mein kleines Kind”

Die Frau im roten Pullover sitzt auf einer Bank im Grünen, an einem Junitag im Jahr 1997. Sie weint. Vor kurzem hat sie erfahren, dass das Kind, das sie seit fünf Monaten in ihrem Bauch trägt, schwere genetische Schädigungen aufweist, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht lebensfähig ist. Das, sagt die Frau, sei das Schlimmste, was ihr habe passieren können. Die Mehrzahl der betroffenen Eltern, hat ihr der behandelnde Facharzt erklärt, entscheide sich in ihrem Fall für eine sofortige Beendigung der Schwangerschaft.

Aber Katja Baumgarten, alleinerziehende Mutter dreier Kinder – ihr Mann hat sie am Beginn der vierten Schwangerschaft verlassen – will diesen Weg nicht gehen. Sie möchte ihr schwerstbehindertes Kind austragen und es dann zu Hause gebären, im Kreis der Familie und der Freunde. Und weil Katja Baumgarten nicht nur Mutter, sondern auch ausgebildete Hebamme, Regisseurin und Autorin mehrerer Dokumentarfilme ist, entschließt sie sich, ihren eigenen Weg zu dieser Hausgeburt mit der Kamera nachzuzeichnen. Sie bittet eine Freundin, die Kamerafrau Gisela Tuchtenhagen, Aufnahmen zu machen, fügt eigene Bilder hinzu, schneidet und revidiert, und so entsteht über einen Zeitraum von vier Jahren schließlich ein Film, der zum erschütterndsten gehört, was man seit langem im Kino oder auf dem Bildschirm sehen konnte: “Mein kleines Kind”.

Der Titel enthält, wenn man so will, bereits das Programm des Films. Es geht darum, gegen das Urteil der Ärzte und gewisser Freunde, ja selbst gegen die Evidenz des Ultraschallbilds, das einen Fötus mit Stummelarmen und schwersten Herzdefekten zeigt, festzustellen, was das Ungeborene vor allem anderen ist: ein Kind. Indem sich Katja Baumgarten dafür entscheidet, dieses Kind nicht nur nicht abzutreiben, sondern auch dem Zugriff der Apparatemedizin zu entwinden, die sein Leben vielleicht um Tage, Wochen oder Monate verlängern könnte, gibt sie ihm zurück, was die Diagnose “komplexes Fehlbildungssyndrom” ihm genommen hat: Autonomie. Der schwerkranke Säugling stirbt seinen eigenen Tod.

Die Bilder von dem kurzen Leben des Kindes, das vermutlich durch einen als Trisomie bekannten Defekt geschädigt ist, bildet die Gegenrede zu den Ultraschallaufnahmen, mit denen der Film beginnt. Sie verwandeln das Trauma der pränatalen Diagnose in eine Geburtserfahrung, die weder die Gebärende noch ihre Kinder und Freunde noch auch der Zuschauer je vergessen werden. “Gestorben” lautet der letzte Zwischentitel des Films. Das Kind, ein Junge, hat nur dreieinhalb Stunden in den Armen seiner Mutter gelebt, aber in dieser Zeit war es weder ein Unfall der Natur noch ein medizinisch lösbares Problem, sondern ein Mensch in seiner Würde und Not.

Seit die moderne Ultraschalldiagnostik in der Lage ist, nicht nur die äußere Erscheinung sondern auch sämtliche Organfunktionen eines Ungeborenen präzise abzubilden und zu untersuchen, stehen immer mehr Frauen vor der Entscheidung, die Katja Baumgarten in “Mein kleines Kind” getroffen hat. Die allermeisten entschließen sich zum Schwangerschaftsabbruch. Man schätzt, dass jährlich zwischen fünfzehnhundert und zweitausend Abtreibungen durch vorzeitige Geburtseinleitungen stattfinden.

Da die Föten im sechsten Schwangerschaftsmonat an der Grenze zur Lebensfähigkeit stehen, werden sie in vielen Fällen noch im Mutterleib durch eine Injektion getötet, um den Arzt vor möglichen Regressansprüchen nach einer Lebendgeburt zu schützen. Die Häufigkeit dieses Verfahrens ist nicht dokumentiert, aber die Tatsache, dass es durch die herrschende Gesetzgebung nicht nur geduldet, sondern beinahe erzwungen wird, macht eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Praxis der Spätabtreibung in Deutschland unumgänglich.

“Mein kleines Kind” könnte ihr Auslöser sein. Dieser Film begibt sich zwischen die Fronten der Debatte, er macht es weder den Behindertenverbänden, die grundsätzlich für lebensverlängernde Maßnahmen eintreten, noch den kompromisslosen Befürwortern der Abtreibung recht. Statt dessen gibt er ein Beispiel: für den selbstbestimmten Umgang mit einem Schicksal, das sich durch Gesetze nicht abwenden lässt. Nicht jede Schwangere wird diesem Beispiel folgen wollen. Aber Katja Baumgartens Film will ja auch kein Rezept, sondern eine Erfahrung vermitteln. Dass auch ihr Ungeborenes von ihr nicht jedes Opfer erwarten könne, erklärt in “Mein kleines Kind” einmal ein Hausarzt der Schwangeren. So hat sie ihrem Kind das Opfer dieses Films gebracht.

ANDREAS KILB

Badische Zeitung, 5. Mai 2003 – Mein kleines Kind – Die Hebamme und Filmemacherin Katja Baumgarten und ihr autobiographischer Film aus der Welt der Pränataldiagnostik

Katja Baumgarten nahm sich die Zeit, die sie brauchte, um entscheiden zu können. Sie entschied sich für das nicht Planbare. Sie hat gelernt “Grenzen zu achten”, die ihr kleiner Sohn nun mal hatte. Nur so konnte sie mit dem Wissen leben, dass sie ein Kind zur Welt bringen würde, von dem sie sich gleich darauf würde wieder verabschieden müssen. Und sie hat in Person der befreundeten Ärzte Menschen gefunden, die ihre Entscheidung akzeptiert und ihren Sohn bei der Geburt und danach begleitet haben. Ihre Hoffnung, “es möge gut ausgehen”, hat sich erfüllt.

HILKE LORENZ

film-dienst, 08/03, 10. April 2003 – 35 897 Mein kleines Kind

Zurückhaltende, fast meditative Studie über eine extreme Lebenssituation, die durch konzentrierte formale Gestaltung zu einem tief bewegenden Dokument der Humanität wird. Weniger eine Waffe im Streit um die Pränatale Diagnostik als ein nachdrücklicher Beitrag zum Diskurs über humanes Leben und Sterben

Das Ergebnis ist ein tief bewegendes, aufwühlendes Dokument der Humanität – und zugleich ein Glücksfall fürs Dokumentarfilmschaffen, weil hier höchste Intimität und reflektierte Distanz in eine Weise zusammenfinden, die zum Nachdenken zwingt; denn die “Menschlichkeit”, von der die Bilder erzählen, verdankt sich in hohem Maße einer filmischen Gestaltung, die dem Exhibitionismus ebenso wehrt wie jeder Form des Voyeurismus. Die vierjährige Entstehungszeit spürt man in vielen Einzelszenen, die so sehr aufs Wesentliche konzentriert sind, als habe die Autorin in einem Akt der ständigen Selbstbefragung allen Schmerz und alle Eitelkeit getilgt; ihr Off-Erzählung ist klar, die Bildauswahl unspektakulär, der Schnitt fast beiläufig. Selbst auf eine naheliegende Spannungsdramaturgie des Ausgangs der Schwangerschaft wurde verzichtet, indem der Film mit grobkörnigen Impressionen nach der Geburt einsetzt, als auf das Neugeborene angestoßen wird. Breiten Raum nehmen die Ultraschallaufnahmen ein, der pulsierende Echolot-Widerschein des Ungeborenen, dessen “Anomalien” der Experte klinisch zu deuten weiß, während die Mutter lediglich die Bewegungen ihres Kindes sieht. Szenen aus dem Familienleben mit den drei anderen Kindern Baumgartens mischen sich mit Gesprächen, rechtlichen und medizinischen Überlegungen, ab und zu auch mit “Kunst”-Aufnahmen von fließenden Gewässern oder Blumen und schließlich der (Haus-)Geburt, auf die alles zustrebt. Als die Wehen einsetzen, ist für “Klein-Martin” alles vorbereitet. Hebamme, zwei Ärzte, ein Freund und ihre Kinder umringen Katja Baumgarten nach der Entbindung, während das Baby auf ihrer Brust ruht. Alle sind von einer feierlichen Stimmung ergriffen, es gibt Kuchen und Sekt, obwohl jeder weiß, dass dem Baby keine lange Lebensspanne gegönnt ist.

Mit einer letzten ruhigen Einstellungen auf die Mutter und ihr totes Kind zieht sich die Kamera zurück: ein stille, friedvolle Pietà-Szene, in der sich viele Themen bündeln. Etwa das des Todes, der hier nicht nur angesichts der schweren Behinderung seinen Schrecken verliert, sondern auch und vor allem durch seine ebenso beständige wie beiläufige Thematisierung, zumindest auf der filmischen Erzählebene. Er ist von der Eröffnung des Arztes an gegenwärtig, als unausweichliches Schicksal, das gleichwohl gestaltet werden muss, hier konkret als Eingriff von Menschenhand oder seinem Gegenteil. Warum entschied sich Katja Baumgarten für Letzteres? Sogar in tieferen Dimensionen wird ihre Entscheidung erahnbar, einen todgeweihten Fötus auszutragen und ihn als ihr Kind anzuerkennen. Im Off-Kommentar klingt einmal das Schicksal von Baumgartens eigener Mutter an, die ihr zweites Kind tot zur Welt brachte; ehe sie auch nur einen Blick darauf werfen konnte, wurde “Es” in einem Eimer fortgetragen. Welche seelische Leere und welche Schuldgefühle solche anonyme “Entsorgung” hinterließ, deutet der Umstand an, dass Baumgartens Mutter erst nach 40 Jahren über das Geschehene zu sprechen beginnt.

Der leise, zurückhaltende Film ist ein Therapeutikum gegen die Angst, weil sein paradoxes Lob des Kreatürlichen auch jene Seiten einschließt, die in der auf Funktionalität und Perfektion fixierten Moderne ausgegrenzt sind: etwa jene des Schmerzes oder der Behinderung. Nicht zuletzt plädiert der Film eindringlich und plausibel für eine “sanfte” Geburt diesseits des Kreißsaals, wie er nachhaltig auch für ein umfassendes Ja zum Leben wirbt, ohne auf ethische Begrifflichkeiten zurückgreifen zu müssen. Was “Würde” oder auch “Menschenwürde” bedeuten kann, wird umso greifbarer, weil der Film nicht theoretisiert, sondern sichtbar macht, wobei er den Aspekt der Anerkennung ebenso akzentuiert wie den der Entscheidung: die Not und Last der Wahl, zwischen medizinischem Rat und widerstreitenden Gefühlen einen Weg zu finden. “Mein kleines Kind” ist weniger eine Waffe im Streit um die Pränatale Diagnostik als vielmehr ein nachdrücklich-nachdenklicher Beitrag im gesellschaftlichen Diskurs um humanes Leben und Sterben.

JOSEPH LEDERLE

ARD – “Das Wort zum Sonntag” am 6. März 2004 “Mein kleines Kind”

Ein neugeborenes Kind auf der Brust seiner Mutter. Eine Situation, die keine grellen Scheinwerfer verträgt. Auch keine Worte. Nur den Schein einer Kerze, der Mutter und Kind umhüllt und eine Atmosphäre der Ruhe, Geborgenheit, ja der stillen Andacht vermittelt. Dieses Bild ist das Schlussbild des Dokumentarfilms “Mein kleines Kind”, der zur Zeit wieder in einigen Kinos zu sehen ist. Er erzählt, wie es im Untertitel heißt, “von Dasein, Geburt und Abschied des kleinen Martin”. Ja, auch vom Abschied. Denn das neugeborene Kind, das so zärtlich an die Brust der Mutter geschmiegt liegt, ist tot.

Der Film erzählt aber eben auch vom “Dasein”. Denn das Kind ist für seine Mutter, die Hebamme und Filmemacherin Katja Baumgarten, da. “Es ist in meiner Mitte tief verwurzelt”, sagt sie, als sie in der 21. Schwangerschaftswoche nach der Ultraschalluntersuchung die niederschmetternde Diagnose erfährt: “Komplexes Fehlbildungssyndrom”. Das Kind, das in ihrem Leib heranwächst: nichts “Vollendetes”, nichts “Unbeschadetes”. Und trotzdem, wie sie empfindet: “kein Missgeschick, kein Abfall, der mit mir nichts zu tun hat”. “Es ist in meiner Mitte tief verwurzelt”, sagt sie. “Die sofortige Beendigung der Schwangerschaft ist in einer solchen Situation der übliche Weg”, sagt der Facharzt. Und fügt hinzu: “Sie müssen sich entscheiden!” “Sie müssen sich entscheiden” – vier Worte, die der “guten Hoffnung” ein jähes Ende setzen; die werdende Eltern und vor allem Frauen in ein Dilemma stürzen, für das es keine Worte gibt und in dem sie meist allein gelassen sind. “Sie müssen sich entscheiden”: abtreiben oder ein schwerstbehindertes Kind austragen.

Katja Baumgarten entscheidet sich, aber sie nimmt sich Zeit. Zeit, die sie für diese Entscheidung braucht. Viel Zeit. Sie entscheidet sich, das Kind auszutragen, es seinen Weg gehen zu lassen. Und: Sie entscheidet sich, diesen Weg zu dokumentieren. Eine befreundete Kamerafrau filmt die Wochen von der Entscheidung zu diesem Kind bis zu seinem Tod. Sie tut das behutsam, sehr behutsam. Unter dem anteilnehmenden Blick der Kamera offenbart sich das innere Chaos der Schwangeren, ihr Hin- und Hergerissen-Sein zwischen zwei Wegen, die sie lieber beide nicht gehen würde. Aber es zeigt sich auch ihr Herantasten, ihr Heranwachsen an ihre Entscheidung.

Für mich ist dieser Film “Mein kleines Kind” ein kostbarer Film – aus vielen Gründen. Er macht ein Thema öffentlich, das sich sonst nur als privates Drama hinter verschlossenen Türen abspielt. Er macht vor allem betroffenen Frauen Mut, sich nicht unter einen von außen erzeugten Druck setzen zu lassen. Er macht ihnen Mut, sich die Zeit zu nehmen, die sie brauchen, um nach dem Schock der Diagnose überhaupt erst mal wieder zu sich, zu ihren Empfindungen, zu ihrer Seele zu finden. Faszinierend ist für mich, dass dieser Film an keiner Stelle moralisch den Zeigefinger erhebt, dass er nichts und niemanden verurteilt, sondern nur unterschiedliche Blickwinkel zeigt. Die aber sind entscheidend. “Der Arzt hat auf dem Ultraschallbild einen Fötus mit vielen Fehlbildungen gesehen”, sagt Katja Baumgarten. “Ich aber habe mein Kind gesehen.” Wenn sie von den dreieinhalb Stunden spricht, die das Kind nach der Geburt auf ihrer Brust liegend gelebt hat, dann nennt sie das “die Zeit, in der Klein-Martin bei uns war”. Und wer wagt es, zu beurteilen, ob diese dreieinhalb Stunden Leben weniger wert waren als 30, 60 oder 90 Jahre?

BÄRBEL DEIFEL-VOGELMANN – Calw

Zuschauerinnenkommentar zur Sendung “Das Wort zum Sonntag”,
8. März 2004

Ich habe am Sonntag im “Wort zum Sonntag” im Fernsehen über Ihren Film erfahren. Mich hat es sofort bewegt (und daran habe ich bemerkt, dass es noch einiges an Aufarbeitung meinerseits zu leisten gibt). Ich habe mich entschlossen ein Kind wegen einer Behinderung nicht auszutragen.

Ich habe deswegen kein schlechtes Gewissen oder Gewissensbisse oder ähnliches, aber was mir besonders deutlich geworden ist, als mich das Schicksal, was ja sonst nur andere Leute betrifft… auch ereilte, dass es ein Tabuthema ist und dass man fast gar nichts darüber weiß und dass einfach nicht darüber geredet wird. Noch nicht einmal meine Frauenärztin wusste so richtig Bescheid. Deshalb habe ich mich darüber gefreut, dass Sie über das Thema einen Film gemacht haben und das es so vielleicht auch mal ein gesellschaftliches Gesprächsthema wird.

Seit Ihrer eigenen Geschichte hat sich ja schon Einiges bewegt, aber das wohl eher unter Ausschluss der allgemeinen Öffentlichkeit. Zumindest hier in Berlin ist es so, dass auch Kinder unter 1.000 Gramm beerdigt werden, entweder anonym, oder als Gruppen- oder Einzelbestattung. Das ist eine ziemlich neue Entwicklung, von der man aber in den öffentlichen Medien nichts mitbekommen hat. Meine Cousine z.B. musste im Mai 2003 noch ihr eigenes Ritual kreieren (und dass meine Cousine auch eine Kind verloren hat, hat sie mir erst erzählt, als sie von meiner Situation erfahren hat. Und auch dann war sie sich immer noch nicht so sicher, mich darauf anzusprechen).

Ich hoffe, dass sich durch Ihren Film ein paar Dinge ändern werden.

DR. SUSANNE FRIESE

Zuschauerkommentare zur Sendung “Menschen bei Maischberger”
Gespräch mit Katja Baumgarten ARD am 3. Februar 2004

Eigentlich wollte ich nach dem Beitrag mit Herrn Mendl ins Bett gehen. Ich bin ehrlich. Mich hatte der angekündigte Beitrag mit Ihnen nicht interessiert. Ich dachte, dass mal wieder eine Frau vorgestellt würde, die trotz Kenntnis, dass ihr Kind schwerstbehindert zur Welt kommen würde, sich nicht zum Schwangerschaftsabbruch entschliesst. Das interessierte mich wie gesagt überhaupt nicht. Diese Interviews sind des Öfteren in diversen Talkshows gelaufen. Damit wurde der Zuschauer entsprechend bedient, damit er sein Gefühlswirr von Bewunderung, Ablehnung bis hin zum einfachen “Gott sei Dank bin ich nicht davon betroffen” ausleben konnte. Einen weiteren Beitrag dieser Art erwartete ich also auch gestern. Entschuldigen Sie mir meinen Zynismus. Aber ich versuche Ihnen meine Situation von gestern abend näher zu bringen.

Dann fesselte mich doch die Art und Weise wie Sie Ihre Gefühls-und Gedankenwelt von damals wiedergaben. Es ging also um etwas anderes als ich erwartet hatte. Ich bin ein Mann – zwar Vater – und so kann ich nur begrenzt nachvollziehen, was in einer Frau vorgeht, die diese Nachricht verarbeiten muss und will. Ich hatte bis gestern nur eine begrenzte Ahnung davon. Seit gestern abend ist diese Ahnung grösser geworden. Ich weiss nicht, wie ich auf so eine Nachricht reagieren würde. Ich befürchte, dass mein “Egoismus” grosse Probleme damit hätte. Zumindest haben Sie mir gestern einige Verdrängungsmöglichkeiten genommen. Und dafür möchte ich Ihnen danken.

HENNER KIRCHBERG

Gerade habe ich Sie bei Sandra Maischberger gesehen. Ich wußte von Ihrem Film. Bisher habe ich mich darum herum gemogelt, weil vieles zu sehr an eigner Geschichte rührt. Mit Spina bifida geboren, weiß ich natürlich um die ungeheuerliche Zumutung, die in den Sätzen steckt, die Mutter und Kind vor dem späteren vermeindlichen Leiden bewahren wollen und dabei nicht anderes tun, als zu entsorgen und – Sie sagten es – das “Leben zu nehmen”. Um so mehr gilt Ihnen mein tiefer Respekt und mein Dank.

JÜRGEN HOBRECHT

Mittelbayrische Zeitung, 8. März 2004 – Und wenn man es weiß: Was dann?
“Mein kleines Kind” und die Pränataldiagnostik: Innige Diskussion nach einem bewegenden Film

REGENSBURG. 88 Minuten lang begleiteten die Zuschauer im ausverkauften Regensburger Ostentor-Kino die Filmemacherin, Hebamme und Mutter Katja Baumgarten durch die schwierigsten Monate ihres Lebens: die Schwangerschaft mit einem behinderte und kaum lebensfähigen Kind in ihrem Bauch. Dank der Pränataldiagnostik wusste Katja Baumgarten, wie es um ihrem kleinen Sohn stand und brachte ihn dennoch zur Welt – zuhause und im Kreise ihrer Familie. Der kleine Martin Tim kam ohne Komplikationen, aber mit Würde – und er blieb dreieinhalb Stunden, ehe er diese Welt wieder verließ. Doch der todkranke Winzling hat mächtig Spuren hinterlassen.

Katja Baumgartens autobiografischer Film “Mein kleines Kind” bewegt seither ganz normale Kinobesucher ebenso wie Expertenrunden auf Ethik-Kongressen. Auch im Ostentor-Kino rührte der Film die Menschen tief innen an. Nach dem Abspann blieb es für Minuten mäuschenstill, ehe Applaus für Katja Baumgarten aufbrandete.Die Filmemacherin dankte dafür. Sie war auf Einladung von Donum Vitae aus Hannover nach Regensburg gekommen, um um mit den Menschen hier zu diskutieren. Auch Dr. Klaus Krumbacher, Regensburger Gynäkologen-Urgestein mit dem Erfahrungshorizont von 35.000 Geburten, der neben Katja Baumgarten am Podium saß, zeigte sich von ihrem Film “zu Tränen gerührt”.

Persönlicher kann ein Film wohl nicht sein. Dabei kam dieses liebevolle Protokoll eines angekündigten Todes, das Katja Baumgarten zeigte, ganz ohne Pathos, ohne Anklage, ja sogar ohne den Anspruch aus, den einzig richtigen Weg gefunden zu haben. Es war ein Weg, ihr Weg, machte Katja Baumgarten klar. Keineswegs verfluchte sie die enormen Möglichkeiten moderner Pränataldiagnostik. “Ich war damals 37, ich bin freiwillig zur Diagnostik gegangen und ich war froh, zu wissen, was los ist”, versicherte die Mutter von vier Kindern. Ernüchtert zeigte sie sich allerdings vom Umgang der meisten Ärzte mit diesem Wissen. “Die erste Maßnahme, die einem nach einer solchen Diagnose vorgeschlagen wird, ist das Angebot, dem Kind das Leben zu nehmen”, berichtete Baumgarten. Dem behinderten Kind im Mutterleib werde sofort unterstellt, das Leben der Mutter zu gefährden.

“Warum ist Pränataldiagnostik so selektiv, wo sie doch heilend sein sollte – eine heilsame Behandlung der Familie im Auge haben sollte und nicht gleich den Abbruch der Schwangerschaft?”, fragte Katja Baumgarten. Sie brauchte für ihre Entscheidung, die man oft binnen weniger Tage erwartet, Wochen. Und sie entschied sich dafür, ein Kind zur Welt zu bringen, von dem sie sich dann würde verabschieden müssen. Doch Katja Baumgarten war klar geworden, dass die gemeinsame Zeit, die sie mit ihrem kleinen Sohn würde leben können, nur die Schwangerschaft sein konnte. “Es war eine glückliche Zeit und eine schöne Geburt”, versicherte Katja Baumgarten. Ihre anderen drei Kinder, Freunde, ihre Hebamme und zwei Ärzte waren bei ihr, als Martin Tim kam. Es gab Kuchen, Champagner und Musik von Chopin.

Es gibt ein Recht auf Nichtwissen

Und es gab verschiedenste Reaktionen auf den Film. Ein dem vernehmen nach pensionierter Arzt, rügte eine Hausgeburt unter diesen Umständen als unverantwortlich, während Dr. Krumbacher diesen Weg in die Welt verteidigte. Hätte eine invasive Behandlung das Leben von Martin Tim verlängert?, wurde gefragt. Dr. Christof Schütz, 40 Jahre als Kinderarzt tätig, sagte: Wahrscheinlich nein.” Der todkranke Säugling sei zu Hause in dieser Atmosphäre von Frieden und Ruhe gut behütet gewesen. Dann wogte die Diskussion um die Pränataldiagnostik. Da korreliere die Pflicht der Ärzte zur Aufklärung über die Pränataldiagnostik mit dem Recht der Schwangeren auf Nichtwissen. Wenn man es aber dann wisse, solle man mit diesem Wissen nicht allein gelassen werden, fordert die Hebamme Astrid Giesen und kritisierte: “Frauen stehen mit einer Abtreibung meist allein da. Die werden nicht aufgefangen. Das ist ziemlich hart!”

Ärzte sollen auf Frauen eingehen

“Was hätte Ihnen geholfen?” fragte Doris Schiller, die als Leiterin der Schwangerenberatungsstelle von Donum Vitae die Sorgen der Frauen gut kennt, immer wieder nach. “Wenn Ärzte so gut mit Menschen umgehen können, wie mit ihren Geräten”, sagte Katja Baumgarten und wünschte sich von Ärzten mehr menschliche Kompetenz, psychologisches Geschick und die Fähigkeit, den Raum zu öffnen, Entscheidungsraum zu schaffen.

Zwei Stunden lang diskutierten die überwiegend weiblichen Zuschauer bis der nächste Kinofilm ein Ende der Veranstaltung erzwang. Der Applaus galt zum Schluss der sympathischen Mutter und Filmemacherin Katja Baumgarten für so viel Nähe und Mut und Donum Vitae und Doris Schiller, die den Film und die Filmemacherin nach Regensburg geholt hatte, um die Sorgen und Gewissensnöte von Frauen zum Thema zu machen.

HEINZ KLEIN

Schwäbische Zeitung, 20. März 2004 – Reflexartig dem üblichen Weg getrotzt

Tettnang – “Noch als ich dem Facharzt gegenüber sitze taucht reflexartig die Idee zu diesem Film auf. Eine Art Notwehr.” So eindeutig wie Katja Baumgarten die Gründe für ihren Dokumentarfilm benennt, tritt sie beim Filmgespräch am Mittwoch im KITT auf: sehr klar, ohne abgehoben zu wirken, zugleich sehr offen, ohne dass es unnatürlich ist.

(…) Die Hebamme und Filmemacherin hat dem üblichen Weg widerstanden – und die folgenden Monate der Schwangerschaft mit “Klein-Martin”, wie sie den dreieinhalb Stunden nach der Geburt verstorbenen Martin Tim zärtlich nennt, mit der Kamera festgehalten. Das heißt, gefilmt hat in dieser Zeit Baumgartens beste Freundin Gisela Tuchtenhagen; bearbeitet wurde das Material von Katja Baumgarten, die sich drei Jahre lang mit den Bildern (“wunderbar sparsam und poetisch zugleich” so eine Zuschauerin) und der Montage befasste. “Extrem persönlich”, ja radikal empfindet die allein erziehende Mutter selbst das Ergebnis, das im KITT so viele Leute anlockte, dass einige auf Donnerstag verwiesen werden mussten, an dem der Film erneut lief.

Freilich ohne Filmgespräch, das durchaus aussagekräftig war. Nicht weil sonderlich viel geredet worden wäre: “Nicht so lebendig” gestaltete sich der Dialog, wie auch Katja Baumgarten empfand, sich daran aber in keinster Weise störte. Dass die Besucher angerührt waren, kennt sie aus der Erfahrung vieler solcher Momente: Ihre unverfälscht festgehaltenen Zweifel, welches die richtige Entscheidung für sich, ihre Kinder und das Baby im Bauch sei, hatten aufgewühlt, erschüttert – und jeden auf sich geworfen. Und eben nach der Vorstellung für andächtige Ruhe gesorgt, in der sich offenbar die Besucher ihrer Gefühle bewusster wurden – und sich im Anschluss im Grunde nur eine Frage stellte: “Woher haben Sie die Kraft gehabt?” Katja Baumgarten sollte es sagen und hatte weder eine religiöse noch eine philosophische Begründung parat: “Es war eine Kraft, die aus dem Leben selber kommt”, sagte sie mit Bedacht und doch ohne Zögern – was wie so vieles in diesem Film keinen Widerspruch mehr bildete.

Ausgelassene Entscheidung

Der zeichnete sich durch eine “Gefühlsspur” aus, die Baumgarten zu legen vermag. Geschafft hat sie dieses, indem sie die Kamera nahe an sich und ihre Familie heran kommen ließ (auch und gerade bei der Hausgeburt, die für sie wesentlicher Bestandteil des Weges ist, den sie mit “Klein-Martin” geht). Und zugleich mit Zwischentiteln, gesprochenen Texten zu meditativen Bildern und extremen Schnitten für eine besondere Atmosphäre sorgt.

Auffällig jene “Auslassung”, die das Gespräch danach zu erläutern vermag: in den letzten 90 Minuten Film gibt es keine punktuelle Entscheidungssituation, in der sich Katja Baumgarten für oder gegen den Schwangerschaftsabbruch wendet. Und so war es denn auch wie sie erzählt: Im Grunde habe sie sich nicht entschieden – und verlangt dies auch nicht vom Zuschauer. Eines aber ist ihr anzumerken: Für sich hat sie den richtigen Weg gewählt – einen mit dem sie leben kann.

ROLAND WEISS

Dr. med. Mabuse – März 2004 – Filmrezension: “Mein kleines Kind” von Katja Baumgarten.

Wie passt das zusammen: Da wurde soeben ein dem Tode geweihtes Kind geboren. Es lebt (noch), es kuschelt innig mit seiner Mutter, die wiederum mit ihrer ganzen Familie und den Geburtshelfern die Sektgläser klingen lässt? Es passt! Und warum? Weil der Würde unumwunden Rechnung getragen wurde.

Mit diesem Film legt uns die Hebamme und Filmemacherin Katja Baumgarten ein ergreifendes Stück Dokumentarfilm vor. In der 21. Schwangerschaftswoche sieht sie sich, ihr ungeborenes Kind und ihr Umfeld mit der Diagnose “komplexes Fehlbildungssyndrom, schwerer Herzfehler, Verdacht auf Chromosomenanomalie” konfrontiert. Ein einsamer Weg, den uns die Protagonistin zusammen mit der einfühlsamen Kamerafrau Gisela Tuchtenhagen gehen lässt. Der Film als Spiegel der Seele, ohne den Schleier des Vergessens und der Anonymität darüber zu breiten.

“Es ist das Schlimmste, was überhaupt passieren kann”, fasst die werdende Mutter ihre Gefühle kurz nach der Diagnose des Ultraschallexperten zusammen. Ehrlich spricht sie über die “Möglichkeiten”, die sie jetzt hätte: “95 bis 98 Prozent der Eltern entscheiden sich in dieser Situation für einen Schwangerschaftabbruch”. Abtreibung bedeutet hier jedoch nicht wie im ersten Schwangerschaftsdrittel, Narkose, Absaugung bzw. Curettage und weg, sondern Geburtseinleitung mit Hormonen, um den noch überhaupt nicht auf Geburt eingestellten Körper dazu zu bewegen das Kind über eine vaginale Geburt herzugeben. Was wäre aber, wenn das Kind diese erzwungene Geburt überleben sollte? Schließlich ist es durch die Entscheidung der Eltern in keinem Falle erwünscht. Um dem vorzubeugen, besteht die Möglichkeit des Fetozids. Unter Ultraschallsicht wird dem Ungeborenen vor der Geburtseinleitung Kaliumchlorid in ein Nabelschnurgefäß gespritzt. Das Herz schlägt immer langsamer, bis es schließlich ganz aufhört. Das tote Kind wird dann in der Regel zwei bis fünf Tage später geboren.

Wochen des Ringens folgen. Sie will sich nichts vom Leben mit einer Kurzschlussreaktion rauben lassen. Der werdenden und zugleich schon dreifachen Mutter verlangt die Gesellschaft Radikales ab: Dass eine Frau, die schwanger ist, jetzt entscheiden soll. Dass sie sowohl die Verantwortung tragen soll, ob das Kind getötet wird, als auch die Verantwortung tragen soll, das Kind leben zu lassen. Dass sie hinterher mit der Ungewissheit, ob dieses Schicksal vielleicht viel zu groß für sie ist, ihr das Genick bricht, völlig alleingelassen wird. Doch obgleich sie sich “vor dem Bild des Kindes fürchtet, wenn es geboren ist”, entscheidet sich Katja Baumgarten für einen anderen Weg: “Es ist in mir verwurzelt, vom ersten Moment an ist es mein Kind und nicht auf Abruf, ich habe dieses Kind völlig umhüllt, ich kann es nicht als Abfall sehen”. Sie trägt ihr Kind schließlich aus, “obwohl ich über etwas entscheide, von dem ich gar nicht weiß, wie es wird. Ich kenne mein Kind nur friedlich und schön, warum sollte es schädlich sein?” Sie entscheidet sich für eine Hausgeburt. Auch “aus Angst, dass mein Kind als aussichtsloser Fall zum Objekt der Medizin wird”. Ihre Hebamme, zwei befreundete Ärzte und ein Freund stehen ihr bei. Die Geburt verläuft leicht. Martin wird liebevoll aufgenommen, sein Da-Sein mit Kuchen und Sekt gefeiert. Ein paar Stunden später geht er leise.

Inwiefern der Würde hier unumwunden Rechnung getragen wurde? Weil Martin sein Leben zu Ende leben konnte. Durfte wäre eine andere Ausdrucksform, doch verstehe ich den Film keineswegs als Appell Abtreibungen auch in einer solchen Situation zu verbieten. Zu klar wird, wie alleine wir, die Gesellschaft, Frauen und Paare auch mit dieser Thematik lassen. Nichts könnten sie richtig machen, alles wäre falsch. Führt uns diese Zumutung zur Auseinandersetzung vielleicht hin zu mehr Menschlichkeit, Wärme und Toleranz, egal wie die Entscheidung letztendlich ausfällt?

MARTINA EIRICH

Deggendorfer Zeitung, 20. Februar 2004 “Mein kleines Kind”: Ein Dokument des Lebens

In Zusammenarbeit mit Donum Vitae hat das Lichtspielhaus am Samstag, 6. März, einen besonderen Dokumentarfilm ins Programm genommen: “Mein kleines Kind” von Katja Baumgarten. Der autobiografische Film erzählt von der Geburt eines behinderten Kindes. Er legt Zeugnis über das innere Chaos einer Mutter ab, die – im sechsten Monat schwanger – über Leben und Sterben ihres Sohnes entscheiden muss. Im DZ-Interview erzählt Katja Baumgarten davon

Deggendorfer Zeitung: Ihr Sohn Martin Tim hat nur wenige Stunden gelebt: Wie haben Sie ihn in dieser Zeit erlebt?

Katja Baumgarten: Martin hat seine ganze Lebenszeit in meinem Arm gelegen. Er schien mir sehr entspannt und friedlich und er hat auch von meiner Muttermilch getrunken. Unsere Familie und die engsten Freunde haben ihn begrüßt. In meinen Armen ist er dann auch eingeschlafen und gestorben.

DZ: Diese Dokumentation muss ein enormer emotionaler Kraftakt für Sie gewesen sein. Viele Frauen und auch Männer würden sich eher zurückziehen. Sie sind einen anderen Weg gegangen. War es für Sie eine Möglichkeit, von Martin Abschied zu nehmen?

Katja Baumgarten: Nein, Trauerbewältigung war kein Grund, den Film zu veröffentlichen. Unseren Abschied habe ich natürlich ganz direkt im Leben erlebt und auch um Martin zusammen mit meinen anderen Kindern ganz persönlich getrauert. Ich habe mit der Montage des Films über ein Jahr gewartet, nachdem Martin bei uns gewesen war und mir dann sehr viel Zeit gelassen, sodass der Film erst vier Jahre später erschienen ist. Der Grund, diesen Film zu machen, war mein Wissen als Hebamme darum, wie verschwiegen dieses traurige Thema “Entscheidung für oder gegen das eigene Kind” in der Öffentlichkeit und auch unter Fachleuten behandelt wird. Ich wollte meine Lebenserfahrung auch anderen Menschen zur Verfügung stellen, die selbst auf der Suche nach einem für sie richtigen Weg sind. Und natürlich wollte ich die Problematik noch einmal neu zur Diskussion stellen. Wenn die Möglichkeit, dem ungeborenen behinderten Kind das Leben zu nehmen, von der Gesellschaft als die erste und übliche “Lösung” des Problems angeboten wird und auf der anderen Seite zunehmend Unterstützungen von Behinderteneinrichtungen und andere Hilfen gekürzt werden bzw. nicht angeboten werden oder gar nicht zur Verfügung stehen, erscheint mir das sehr heillos für die einzelne Familie und für die ganze Gesellschaft.

DZ: Nach der schrecklichen Diagnose mussten Sie über die Bedingungen des Lebens und Sterbens von Martin Tim entscheiden: Wurden Sie unter Druck gesetzt?

Katja Baumgarten: Zunächst fühlte ich mich sehr einsam mit den Druck, eine Entscheidung treffen zu müssen. Es schien plötzlich, als wäre ich in einer “Falle” aus der ich und meine Familie nicht “mit heiler Haut” herauskommen könnten – und als sei das Leben meines Sohnes völlig beliebig und nur davon abhängig, ob ich jetzt besonders “mutig und heldenhaft” ihn weiterleben lasse – wie ein Luxus, den ich “mir leisten kann” wenn ich besonders “stark” sei. Stark fühlte ich mich mit meiner Angst, vor allem was auf uns zukommen könnte natürlich überhaupt nicht. Ich empfand die unausgesprochene Botschaft, wenn ich das Angebot ausschlagen würde, meinem Kind “prophylaktisch” jetzt das Leben zu nehmen, hätte ich eines Tages “selbst Schuld” wenn ich vielleicht den Aufgaben nicht mehr gewachsen wäre, die mein kleiner Sohn mit seinen Behinderungen an mich und an uns alle stellen könnte. Immerhin lebte ich als berufstätige Mutter von weiteren drei Kindern, ohnehin bereits sehr an meinen Kraftgrenzen und musste auch für die anderen Kinder da sein. Es gab kräftige Gegenpositionen innerhalb des engeren Kreises, Menschen die verständnislos waren, dass ich es mir mit der Entscheidung so schwer mache, aber die meisten Menschen in meiner Umgebung waren eher ratlos und zurückhaltend. Einige wenige Freundinnen und Freude, vor allem die beiden Ärzte und die Hebamme, die uns dann auch bei der Geburt begleitet haben, haben mich sehr gestärkt und unterstützt. Dafür bin ich sehr sehr dankbar.

DZ: Sind mit diesem Dokumentarfilm die Grenzen des Autobiographischen erreicht?

Katja Baumgarten: Das muss jeder Filmemacher und jeder Zuschauer für sich selbst entscheiden, wo seine Grenzen liegen. Ich habe bei der Montage sehr darüber nachgedacht, was ich der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen möchte und welche Passagen im gedrehten Material eher privat und für das Thema nicht so wichtig sind. Auf jeden Fall ist es mir nie schwer gefallen, den Film mit dem Publikum gemeinsam zu sehen und dann zur Diskussion zu stellen. In der Filmerzählung, in der Zusammenstellung der Videoaufnahmen ist es eben ein sehr bewusst bearbeitetes Werk, das mit der Wirklichkeit nicht identisch ist, auch wenn es authentisch mit Bildern aus der Wirklichkeit erzählt ist. Meine Erinnerungen an die Zeit mit Martin vor sieben Jahren ist natürlich viel umfassender und vielfältiger, wie es in einen 88minütigen Film gar nicht passen könnte.

DZ: Kam Ihnen die Kamera nicht manchmal doch näher als Ihnen lieb war?

Katja Baumgarten: Die Filmemacherin Gisela Tuchtenhagen, die ich gebeten hatte, Videoaufnahmen zu machen, ist meine beste Freundin und Patentante von einem meiner Kinder. Sie wäre auch ohne Kamera in dieser Zeit bei uns gewesen und hätte sich für meine Nöte interessiert. Ihr Blick durch die Kamera ist niemals voyeuristisch. Sie hat eine große Leistung vollbracht, dass sie in den Bildern immer die Grenze zwischen Nähe und Respekt eingehalten hat. Sie selbst hat bei diesen Dreharbeiten gemerkt, welche Gratwanderung sie dabei zu bestehen hatte. Im übrigen haben wir nicht ständig Videoaufnahmen gemacht, sondern sehr gezielt an manchen besondern Tagen. Ich habe das Videomaterial dann selbst montiert und konnte selbst darüber entscheiden – sicher hätte ich dieses Erlebnis unter anderen Bedingungen nicht als Film veröffentlicht.

DZ: Welche Reaktionen ruft dieser Film beim Publikum hervor?

Katja Baumgarten: Die meisten Menschen sind sehr berührt. Es freut mich besonders, dass der Film viele Menschen anregt, anders über die ganze Problematik der Pränataldiagnostik und ihrer Folgen nachzudenken. Es äußern sich auch öfter Zuschauer, dass sie zunächst eine große Scheu hatten, den Film zu sehen, nachträglich aber froh sind, es “gewagt” zu haben.

DZ: Würden Sie werdenden Eltern oder Frauen in ähnlichen Situationen empfehlen, sich den Film anzuschauen?

Katja Baumgarten: Schon oft haben Eltern in ihrer Entscheidungsnot gebeten, sich den Film anschauen zu können. Natürlich muss jedes Paar seinen eigenen Weg finden und jede Situation ist verschieden. Aber über manches kann man besser nachdenken, wenn man ein lebendiges Beispiel vor Augen hat – auch wenn man für sich selbst dann vielleicht ganz andere Lösungen für richtig hält.

Die Fragen stellte MICHAEL ARBINGER

WEGBEREITER, 2/2004 – Das Kino im Kloster Alpirsbach, Dišzese Rottenburg-Stuttgart

(…) Vielleicht ist die Frohbotschaft in Zeiten der Spaßgesellschaft wirklich nicht an lachenden Gesichtern zu erkennen. Einer der gut besuchten Filme des vergangenen Jahres war todtraurig: “Mein kleines Kind”. Da erzählt die Regisseurin ungemein eindringlich von ihrer Schwangerschaft mit einem todgeweihten mehrfach behinderten Baby. (…)

MICHAEL GRAFF, Kinopfarrer

Programmkino.de – Der Internetinformationsdienst der AG-Kino, Juni 2003

Kein einfacher Film, gewiss. Aber ein Glücksfall für das Genre des Dokumentarfilms: Sehr zärtlich, unglaublich einfühlsam, aber vor allem sehr mitnehmend.

TOBIAS SUNDERDIEK – Osnabrück

Rhein-Neckar-Zeitung, 21. Juni 2003 – Ein Bild, zwei Wirklichkeiten

Emotional bewegend begleitet der Film die Entscheidung seiner Regisseurin für das Austragen des Kindes. Ihr subjektives außer Frage stehendes Empfinden wird zum Dreh- und Angelpunkt. Daneben formuliert die beeindruckende Dokumentation ein eindringliches Plädoyer für die Wahrnehmung des Menschen als würdevolles, schutzbedürftiges Individuum, das nicht nur einer fremden, abgesonderten Welt angehört, sondern durch seine Verwurzelung in der Mitte der Mutter ein höchst diesseitiges Leben führt. Diese Mitte spürbar zu machen und ins reale Leben zu übersetzen, gelingt Katja Baumgarten schließlich durch die Hausgeburt, zu der sie sich gegen medizinische Bedenken entschließt.

WOLFGANG NIERLIN – Heidelberg

Fluter – Bundeszentrale für politische Bildung, April 2003 – Entscheiden müssen

In einer Schwangerschaft scheinen Vorsorgeuntersuchungen das Natürlichste der Welt. Die Mutter will wissen, ob alles gut verläuft und ob ihr Kind gesund ist. Zur so genannten Pränataldiagnostik zählen – neben Bluttests der Mutter und der durchaus umstrittenen, da für das Ungeborene nicht ungefährlichen, Punktion von Fruchtblase, Mutterkuchen und Nabelschnur – auch harmlose Ultraschalluntersuchungen: eine zu Beginn, eine in der Mitte und eine gegen Ende der Schwangerschaft. Doch was passiert, wenn eine Fehlbildung diagnostiziert wird?

In ihrem autobiografischen Film “Mein kleines Kind” dokumentiert Katja Baumgarten ihre Schwangerschaft mit dem jüngsten Sohn ab der Ultraschall-Diagnose eines “komplexen Fehlbildungssyndroms” in der 21. Woche. Das Ergebnis, sagt sie, war “zu groß für mich”. Denn die Hebamme und Filmemacherin muss plötzlich über die Dauer des Lebens ihres vierten Kindes entscheiden. “Die Diagnose stellt eine mögliche Indikation zum Schwangerschaftsabbruch dar”, so der nüchterne Sachverhalt.

Baumgarten bittet ihre Freundin, die Filmemacherin Gisela Tuchtenhagen, sie mit der Kamera zu begleiten. Radikal persönlich und fundiert reflektiert sie in der folgenden Zeit über Pränataldiagnostik, Fetozid – und Hausgeburten. Das filmische Ergebnis beeindruckt mit Herzlichkeit und Offenheit – und bereichert jede Diskussion zum Thema Schwangerschaftsabbruch. Denn der Film will keine allgemeingültigen Antworten geben, wie man in so einem Konflikt zu handeln hat. Er ist ein klares Plädoyer für die Möglichkeit zur persönlichen Entscheidung.

INGRID ARNOLD

PERSÖNLICHER KOMMENTAR

Der Film hat mich sehr bewegt, weil ich mich fast wie eine “Überlebende” gefühlt habe. Ich bin mit Spina bifida geboren, 1958, also lange vor jeder Diagnostik. Die hätte meiner Mutter dann sicher auch einen Abbruch nahegelegt. So hatte ich Glück! Die gesellschaftliche Entwicklung, Kinder nach Maß bekommen zu wollen und zu können und behinderte Menschen damit immer weiter auszugrenzen, ängstigt mich. Eine Diskussion ist nötig und Ihr Film ist da ein sehr, sehr guter Beitrag.

KERSTIN HAGEMANN, PatientenInitiative e. V. Hamburg

PERSÖNLICHER KOMMENTAR

Als Psychologin und Mutter von drei Kindern, von denen eines 1989 eine Woche nach der Geburt gestorben ist, betreue ich seit zehn Jahren Eltern nach dem Verlust eines Kindes. Sowohl persönlich als auch professionell hat mich Ihr Film sehr berührt. Er wirft sehr viele Gedanken und Empfindungen bei mir auf. Sie bleiben ja bei Ihrem persönlichem Erleben und drängen Ihren eigenen Weg niemandem auf, und das ist auch sehr gut so.

Ich habe auch Mütter bzw. Eltern betreut, die bei einer solchen Diagnose sich zur sofortigen Geburt des Kindes entschlossen haben. Auch da war ein Stück weit Frieden möglich. Ich habe neben Müttern gesessen, die ihr in der 22. Schwangerschaftswoche geborenes Kind hielten und in dieser Stunde Abschied von ihm nahmen. Diese Kinder können in Gießen genau so auf einem Kindergrabfeld beerdigt werden wie andere früh in der Schwangerschaft verstorbene Kinder. Wichtig in der Begleitung in dieser existenziellen Krise scheint mir vor allem das Einräumen von ZEIT und RUHE zu sein, vor der Entscheidung und danach. Auch der Kontakt zu anderen Betroffenen, z.B. über die Initiative REGENBOGEN, kann vielleicht bei der Entscheidungsfindung helfen.

Weiterhin: Sie haben, genau wie ich damals, gewisserma§en einen gnädigen Ausgang erlebt, indem Ihr kleiner Sohn sich ohne Qual vom Leben wieder verabschieden konnte. Es gibt auch das andere: Kinder, die lange leiden müssen, Familien, die sich in der Pflege eines schwerstbehinderten Kindes aufreiben, Ehen, die darüber zerbrechen. Nicht alles lässt sich durch großzügigere Hilfe auffangen. Letztendlich sind es die Mütter, die die schwerste Last zu tragen haben. Mir gab es schon zu denken, dass gerade eine Mutter, die bei der “Lebenshilfe” arbeitete, sich zum Abbruch entschied.

Sie erwähnten in der Diskussion das Wort “Vermächtnis” – das Vermächtnis Ihres Sohnes Martin Tim. Vielleicht ist der Film auch noch ein anderes Vermächtnis, das Ihres toten Bruders, dessen Namen wir nicht kennen. Ihre Mutter hat die schwere Last zu tragen, dass man ihr ihr eigenes Kind – womöglich sogar in der Absicht, sie zu schonen – vorenthalten hat. Wie gut, dass sich da mittlerweile vieles zum Besseren geändert hat: zu einem bewussten und würdevolleren Umgang mit den kleinen toten Menschen. Ich möchte ausdrücklich Ihrer Mutter meine Bewunderung aussprechen und ihr danken, dass sie an den Filmaufnahmen mitgewirkt hat – natürlich auch für ihr Da-Sein in dieser Situation. Der Friede, den alle Beteiligten an der Geburt erlebt haben, war, so hoffe ich, für sie auch ein Trost in ihrer eigenen Trauer.

Ich könnte noch viel mehr schreiben… Als Autorin kämpfe ich gegen die Anschauung, dass man sich von den Verstorbenen zu “lösen” habe, um das Leben fortsetzen zu können, “Trauer abschließen”, “damit fertig werden” oder so ähnlich. Ich glaube im Gegenteil, dass unsere geliebten Toten immer bei uns bleiben, dass natürlich ihre physische Existenz vergangen ist, aber dass sie uns zu Neuem, Sinvollem beflügeln können. So etwas ist “Mein kleines Kind”.

SILVIA BÖRGENS – Gießen

Ostsee-Zeitung, 13. November 2003 – Wenn es im Kino ganz still bleibt – Riesenandrang beim Film “Mein kleines Kind”

STRALSUND – Und wie war Ihr Leben danach?, wurde Katja Baumgarten gefragt. Danach – nach dem Tod ihres Sohnes Martin, der dreieinhalb Stunden alt wurde.

Katja Baumgarten, Filmemacherin aus Hannover, ausgebildete Hebamme und Hauptfigur in ihrem Dokumentarfilm “Mein kleines Kind”. Die 43-Jährige war am Dienstag zu Gast im Stralsunder CineStar, um bei der Aufführung des Streifens dabei zu sein. Und sie war nicht allein. Die Abendvorstellung war ausverkauft. 200 Zuschauer waren gekommen, Kinoleitung und Veranstalter waren perplex und froh ob des enormen Interesses. Selbst bei der nachfolgenden Diskussion über das Werk blieb der Großteil dabei.

Kurz zum Film: Katja Baumgarten erzählt von der Schwangerschaft und Geburt ihres vierten Kindes. Die vorgeburtliche Untersuchung ergab, dass das Baby schwerste Entwicklungsstörungen aufweist. Der Kampf, das Ringen um die richtige Entscheidung – vorzeitger Abbruch der Schwangerschaft oder Austragen – ist der zentrale Punkt, um den sich das Verhalten von Ärzten, Freunden, eigenen Kindern dreht. Im Hintergrund immer das Dilemma: Welche Entscheidung ist die richtige, ohne die Folgen genau abschätzen zu können? Katja Baumgarten entschied sich für Martin, der dreieinhalb Stunden nach der Entbindung auf ihrem Bauch, von ihren Händen beschützt, starb. “Mich schmeißt der Tod ins Leben zurück”, antwortete sie auf die anfängliche Frage. Sie habe durch das Kind die Kostbarkeit des Lebens gespürt.

Das Gespräch nach der Filmvorstellung legte einen Schwelbrand offen: Viele Frauen aus dem Publikum sagten aus eigenem Erleben, dass der Druck in solch einer Entscheidungssituation riesig sei. “So eine Entscheidung muss reifen”, sagte eine Frau. Eine andere wünschte sich von Ärzten mehr Ermutigung statt Neutralität. Dagegen verwehrte sich jedoch Klinikums-Chefarzt Frank Ruhland, der als Gesprächspartner zur Verfügung stand. Die Frau müsse in so einem Falle selbst entscheiden. Er stellte sich ebenso gegen den Vorwurf, Ärzte würden die Frauen zum Abbruch drängen, sollten die werdenden Kinder schwerste Schädigungen zeigen. “Die Beratungen sind ergebnisoffen, es geht nicht um Selektion”, so der Gynäkologe. Katja Baumgarten entgegnete vieldeutig: “Aber praktisch…”

Befragt nach der Motivation für den Film, sagte sie: “Ich wollte mein Problem nicht im stillen Kämmerlein abhandeln.” Genau darum war es nach dem Film lange völlig still im Kino. Nur eine junge Frau sagte leise: “Klasse!”

KLAUS AMBERGER

Südwest Presse, 25. April 2003 – Ein vollendetes Leben

Tübingen. Im Anschluss an den Dokumentarfilm “Mein kleines Kind” von Katja Baumgarten diskutierten am Mittwoch Abend im Kino Museum Podiumsgäste und Publikum – auch über existentielle Fragen.

In ihrem Film dokumentiert Katja Baumgarten “die schwierigste Zeit ihres Lebens”: In der 21. Schwangerschaftswoche erfährt die damals 37-jährige, dass ihr viertes Kind mit schwersten Entwicklungsstörungen zur Welt kommen wird. Ihr Arzt fordert gleich eine Entscheidung für oder gegen das Kind. Den Griff zur Kamera sieht die Regisseurin und Hebamme “als eine Art Notwehr” um Ordnung in ihr inneres Chaos zu bringen.

Im ausverkauften “Studio” ist es mucksmäuschenstill. Der Filmabspann ist längst zu Ende. Diejenigen, die keine Kinokarten mehr bekamen, aber bis zum Filmende ausgeharrt hatten, drängen in den Saal zur Diskussion. Moderatorin Annette Wagner vom SWR macht gleich in ihrer Einleitung klar: Es kann und sollte heute Abend nicht um pro und contra von Schwangerschaftsabbrüchen gehen. Wie auch immer die Entscheidung ausfällt – sie wird das Leben der Frau auf den Kopf stellen”. Deshalb gehe es nur darum, die Frau bei dieser Entscheidung zu unterstützen.

Damit trifft Wagner, was bei vielen Anwesenden – vor allem Frauen, Hebammen, Mediziner / innen – und Katja Baumgarten besonders am Herzen liegt: Eine schwangere Frau, die erfährt, dass ihr ungeborenes Kind behindert sein wird, darf nicht allein gelassen werden. Genau das geschehe jedoch meistens.

Katja Baumgarten möchte mit ihrem Film nicht die Pränataldiagnose in Frage stellen: “Ich bin freiwillig zur Ultraschall-Untersuchung gegangen, ich war froh zu wissen, woran ich war. Und sie fährt fort: “Nur gleich die Entscheidungsfrage gestellt zu bekommen – das ging mir zu schnell.” Baumgarten entschied sich, anders als 99 Prozent der Frauen in ihrer Situation, das kranke Kind zur Welt zu bringen.

Ingrid Löbner, Podiumsdiskutantin und Vertreterin von Pro Familia, weiß von vielen Fällen, bei denen Frauen sich nicht ganz so freiwillig auf eine pränatale Diagnose einließen: “Es besteht ein gewisser Automatismus. Die Ärzte wollen sich rechtlich absichern und schicken die Frauen los.” Viele Schwangere wüssten allerdings gar nicht, ob sie diese Untersuchung wirklich wollten.

Das Problem kennt auch Podiumsgast Matthias Meyer-Wittkopf, Pränataldiagnostik-Experte von der Frauenklinik Tübingen. Er betont: “Das Recht, sich nicht untersuchen zu lassen, hat natürlich jeder Mensch.” Dennoch befürwortet er Pränataldiagnostik und nennt ein Beispiel: Zwei von Tausend Kindern hätten einen bestimmten Herzfehler. Folge davon ist Sauerstoffmangel bei der Geburt, was in 50 Prozent der Fälle zu Hirnschäden führt. Mit einer Diagnose im Mutterleib kann man dem begegnen: “Das Baby kommt unter kontrollierten Bedingungen in einer Spezialklinik zur Welt.” Sauerstoffmangel und Hirnschäden bleiben aus.

Katja Baumgarten hat sich dagegen entscheiden, nach der Geburt ihres behinderten Kindes alles medizinisch Erdenkliche zu machen. Der Sohn litt unter schwersten Entwicklungsstörungen: “Es war klar, dass das ein kurzes Leben ist.” Das Kind kommt zu Hause, im Kreis der Familie zur Welt und stirbt nach dreieinhalb Stunden. Für viele Zuschauer waren die Momentaufnahmen dieser dreieinhalb Stunden die schönsten Stellen im Film: “Es herrschte so ein wunderbarer Friede.”

Kritik kommt von einem Kinderarzt aus dem Publikum, der sich selbst als “Anwalt der Kinder” versteht: “Wer hat denn entschieden, dass das Kind keine Chance hat?”

Sie habe versucht, einen Weg zu gehen, den sie vor allen Beteiligten verantworten kann, entgegnet Baumgarten. “Als ich von der Krankheit meines Kindes erfuhr, fragte ich mich: “Was sind die wichtigen Dinge im Leben?” Damals wie heute kommt sie zu dem Schluss: “Klein-Martin hat die ganze Zeit Liebe und Frieden gehabt. Es war ein vollendetes Leben. Jeder, der ihn berührt hat, hat ihn geliebt.”

SWR3 Gedanken – Dienstag, 20. Mai 2003 – Mein kleines Kind

Eine Frau liegt bei Kerzenschein im Bett. Sie ist nackt, bis zu ihrem Bauch ist sie zugedeckt. Auf ihrer Brust liegt ein neugeborenes Kind, es ist tot. Der Blick der Frau ist traurig, bejahend, friedlich und wissend. Die Frau ist Katja Baumgarten, eine Hebamme und Filmemacherin. Das Bild ist das Schlussbild ihres Dokumentarfilms “Mein kleines Kind”.

Er ist seit April in den Kinos. Katja Baumgarten hat drei gesunde Kinder. In ihrer vierten Schwangerschaft erfährt sie dass ihr Kind schwerstbehindert sein wird: Trisomie 18 – das heißt ihr Kind wird einen Herzfehler haben, ein offenes Rückenmark, einen Wasserkopf, verkürzte Arme und höchstwahrscheinlich auch eine schwere geistige Behinderung. Sie müsse eine Entscheidung treffen, sagte der Arzt. Er sagte ihr das zu früh. Sie ist völlig durcheinander, hin und hergerissen zwischen zwei Wegen, die sie beide lieber nicht gehen würde, die Abtreibung oder ein schwerstbehindertes Kind austragen, das schon vor seiner Geburt dem Tod geweiht ist.

Katja Baumgarten entscheidet sich, ihre Entscheidung braucht aber Zeit. Sie entscheidet sich das Kind auszutragen, es seinen Weg gehen zu lassen – zu Hause im Kreis ihrer Familie und Freunde. Und sie entscheidet sich diesen Weg zu dokumentieren. Ihre Freundin, eine Kamerafrau, filmt die Wochen von der Entscheidung zu diesem Kind bis zu seinem Tod. Sie tut das behutsam, sehr behutsam, deshalb ist dieser Film auch ein sehr starker Film.

Man erfährt viel über das Leben durch den Tod von Klein-Martin, wie Katja Baumgarten ihren kurz nach der Geburt verstorbenen Sohn nennt. Man erfährt etwas über die Einsamkeit von Frauen in existentiellsten Situationen und über das Geschenk Freunde zu haben. Man sieht die unglaubliche Stärke einer zerbrechlich wirkenden Frau, die Angst vor Behinderung und Tod und die überraschende Schönheit des Friedens bei Geburt und Tod. Und man erfährt in diesem Film etwas über die Relativität der Zeit. Die vier Stunden, die Klein-Martin, wunderschön behütet an der Brust seiner Mutter gelebt hat, waren seine Lebenszeit. Und wer wagt es zu beurteilen, ob ein solches Leben weniger wert ist als ein neunzigjähriges?

DR. PETER KOTTLORTZ

Schwäbisches Tagblatt, 23. April 2003 – Sehr persönlicher Dokumentarfilm über das Problem der pränatalen Diagnostik

Das Thema berührt nicht nur Eltern. Die jedoch besonders. Mütter, die allerdings denken, sie halten einen Film über die Schwangerschaft mit einem schwer behinderten Kind, das wenige Stunden nach der Geburt stirbt, nicht aus, können beruhigt sein: Die anderthalb Stunden Dokumentarfilm “Mein kleines Kind” von Katja Baumgarten sind ohne Tränen zu überstehen. Das ist dem Film und Baumgarten hoch anzurechnen.

Baumgarten, eine Frau mit der hervorstechenden Berufskombination: Filmemacherin und Hebamme, dokumentiert in ihrem sehr privaten Film, der auf der Berlinale 2002 viel Anerkennung bekam, ihre vierte Schwangerschaft. In der 21. Woche erfährt sie, dass ihr Kind schwer behindert ist und so gut wie keine Lebenschancen hat. Der Arzt legt Abtreibung nahe. Die Schwangere teilt nun der Videokamera ihre Gedanken mit. Auf eine erstaunlich unsentimentale, fast nüchterne Weise berichtet sie von der Unmöglichkeit einer solchen Abtreibung. Sich auf ihr Kind zu freuen und plötzlich eine Entscheidung über seinen Tod fällen, das will der Frau einfach nicht gelingen. Dagegen sträubt sie sich mit einer unaufgeregten Sicherheit. Das Angenehme, sie sträubt sich ohne jeden missionarischen Eifer. Sie will niemanden von ihrer Entscheidung überzeugen. Sie überzeugt, indem sie genau in sich hinein hört. Und weil sie weiß, was sie will und sich zumuten kann, bekommt sie entgegen dem Rat der Ärzte das Kind auch noch zu Hause. Der Film ist von einer kaum aushaltbaren Langsamkeit, er erinnert auch an die Selbstbespiegelungsfilme der Siebziger. Doch immer, wenn er die Grenze des Erträglichen erreicht zu haben scheint, bricht die Sympathie für diese Frau durch, die einen unbequeme, aber eben ihren Weg geht; ohne jemals vermessen zu behaupten, dies sei der richtige. Ein Intensivfilm, zu dem man vielleicht einige Stunden Abstand braucht, damit er einem gefällt.

ULLA STEUERNAGEL

Hamburger Abendblatt, 10. April 2003 – Eine Möglichkeit, Abschied zu nehmen

In ihrem Film “Mein kleines Kind” schildert Katja Baumgarten die schwierige Entscheidung, ein behindertes Kind auszutragen oder abzutreiben

“Mein kleines Kind” von Katja Baumgarten, gefilmt von Gisela Tuchhagen, schildert diesen Prozess der Entscheidungsfindung und ist vieles zugleich: verstörend, erschreckend, zum Nachdenken zwingend, Hoffnung spendend, Verständnis weckend. Katja Baumgarten hat Angst – und viele Fragen. Kann sie die Belastung aushalten, wenn das Kind erst einmal auf der Welt ist und womöglich nur wenige Wochen zu leben hat? Kann sie das ihren drei Kindern antun? Und was ist mit dem Ungeborenen? Verlängert sie nicht dessen Leiden, wenn sie das Kind tatsächlich austrägt? Oder leidet es gar nicht, sondern genießt die Nähe zu seiner Mutter?

Katja Baumgarten entschließt sich, das Kind zur Welt zu bringen. Zu Hause, unterstützt von befreundeten Ärzten. Als es so weit ist, weiß sie, dass sie alles richtig gemacht hat, dass sie auf diese Weise von ihrem Baby wirklich Abschied nehmen kann, wenn es denn so kommt. Das letzte, körnig-rote Bild des Films zeigt das Kleine auf ihrem Bauch – ein Bild großen Friedens. “Mein kleines Kind” ist kein Film, der Eltern in einer vergleichbaren Situation unter Druck setzt, indem er Verhaltensaufforderungen liefert. Vielmehr zeigt er eine Möglichkeit auf, die es eben auch gibt – selbst wenn das Gros der Mediziner (und der restlichen Öffentlichkeit) davon nichts wissen will. Er macht nachdenklich, aber eine Entscheidung nimmt er nicht ab.

HOLGER TRUE

Hamburger Morgenpost, 10. April 2003 – Mein kleines Kind – Autobiografisches Protokoll einer Problemschwangerschaft

DAS THEMA: Katja Baumgarten freute sich über das Strampeln ihres vierten Kindes in ihrem Bauch. Sie nahm es als Zeichen, dass alles in Ordnung ist, doch in der 20. Woche lässt das Ultraschallbild eine schwere Entwicklungsstörung erkennen. Der Arzt rät zum sofortigen Schwangerschaftsabbruch, das sei in einem solchen Fall der übliche Weg.

Durch ihren Beruf als Hebamme wusste Katja Baumgarten um die oft lebenslangen Schuldgefühle der Mütter. Die Filmemacherin beschloss, ihre Ängste und Zweifel festzuhalten. Kamerafrau Gisela Tuchtenhagen begleitet mit liebevollem, zugewandtem Blick die Entscheidung der Mutter, ihr Kind trotz Behinderung zur Welt zu bringen. Sie portraitiert das Leben der Familie und begleitet die Hausgeburt. Schließlich liegt das Baby auf dem Bauch seiner Mutter, begrüßt von seinen Geschwistern, bevor es nach drei Stunden stirbt.

DIE REGISSEURIN: Nach Hebammenausbildung und Kunststudium arbeitete Katja Baumgarten als Dokumentarfilmerin, oft mit Gisela Tuchtenhagen.

FAZIT: Privates so rückhaltlos öffentlich zu machen ist immer ein großes Risiko und erfordert viel Mut. Baumgarten und Tuchtenhagen gehen jedoch weit über den Einzelfall hinaus, liefern einen wichtigen Beitrag für die Diskussion um den Nutzen pränataler Diagnostik. Vor allem aber ist der Film ein engagiertes, warmherziges Plädoyer dafür, das Leben – in jeder Form – zu bejahen.

INTERVIEW: Katja Baumgarten “Martin hat meinen Blick verändert”

Katja Baumgarten hatte bereits drei Kinder, als sie erfuhr, dass ihr viertes, noch ungeborenes Kind aufs Schwerste behindert sein wird. Gisela Kruse sprach mit ihr über ihre Entscheidung, ihren Sohn Martin auszutragen und dies filmisch festzuhalten.

Gisela Kruse: Was war Ihr erster Gedanke, als Sie die Diagnose hörten?

Katja Baumgarten: Wenn mein Kind nicht lange leben kann, dann soll es in aller Ruhe und in aller Stille zur Welt kommen. Wir lassen ihm sein Leben, so wie es ist und stören es nicht. Es war aber gleich auch der Gedanke da, mit der Kamera Aufnahmen zu machen. Nicht nur um die Situation zu reflektieren, sondern auch, um sie aus dem Privaten zurück in die Öffentlichkeit zu bringen.

Kruse: Hat sich Ihr Blick geändert, für das was Leben ausmacht?

Baumgarten: Ja, Klein-Martin hat uns beigebracht, wie unberechenbar und unplanbar alles ist. Ich habe durch ihn gelernt, nichts zu erzwingen. Und zu würdigen und zu respektieren, dass er auf seine Weise ebenso wertvoll ist, wie jemand mit einem anderen Schicksal.

Kruse: Wie kommt der Film in Fachkreisen an?

Baumgarten: Ich habe ihn als allererstes auf dem Hebammenkongress gezeigt. Dort hat man ihn sehr intensiv und sehr froh aufgenommen. Hebammen sind ja bei Schwangerschaftsabbrüchen die Ausführenden und geraten dabei sehr oft in Not. Es geht meist sehr schnell, und die Frauen haben später oft das Gefühl, nicht ausgereift entschieden zu haben. Da kann der Film ein Anlass sein, darüber zu sprechen.

Kruse: Was muss geschehen, damit die Situation sich ändert?

Baumgarten: Wichtig ist, dass die Profis umdenken und sagen, dass es auch eine andere Lösung gibt, als einen Abbruch. Hebammen und Ärzte sollten es nicht als Niederlage erleben, auch wenn das Kind sterben wird. Es ist noch ein großes Tabu – es gibt zum Beispiel keine Statistik darüber, wie viele ungeborene behinderte Kinder vom Arzt eine tödliche Spritze ins Herz bekommen.

GISELA KRUSE


Hamburger Abendblatt
 – Ahrensburg, 30. April 2003 – Bargteheide: Film zum Hebammentag

Was ist, wenn mein Kind behindert wird? Mit diesem Thema beschäftigt sich der autobiographische Dokumentarfilm “Mein kleines Kind” der Hebamme und Filmemacherin Katja Baumgarten. Stormarner Hebammen zeigen ihn am kommenden Sonntag, dem internationalen Hebammentag, im Kleinen Theater Bargteheide. Im Mittelpunkt des Films steht eine Schwangere, der die Abtreibung empfohlen wird, weil ihr Kind möglicherweise unter einer Fehlbildung der Erbanlagen leidet.

“Wir sehen die vorgeburtliche Diagnostik äußerst kritisch”, betont Petra Falkenberg (34) vom Bund deutscher Hebammen. “Unsere Gesellschaft”, so hat die Ahrensburger Hebamme beobachtet, “ist so, dass sie keine behinderten Kinder will. Frauen, bei deren ungeborenen Kindern eine Fehlbildung festgestellt wird, stehen unter einem enormen seelischen Druck.” Ihrer Meinung nach sollte die Pränataldiagostik aus dem Vorsorgeprogramm herausgenommen werden. Eine weitere Forderung der Hebamme Petra Falkenberg: “Es muss mehr Hilfen geben. Wir prangern an, dass Schwangere mit einem voraussichtlich behinderten Kind heute meist allein vor der Entscheidung stehen, abzutreiben oder nicht.” Falkenberg hat es in ihrer Praxis mehrfach erlebt, dass Pränataldiagnosen nicht stimmten.

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Stuttgarter Zeitung, 10. April 2003 – Es gibt ein Leben jenseits der Apparate

Baumgarten aber konnte dieses ungeborene Leben nicht als Missgeschick empfinden. Es blieb ihr Kind. Sie war ratlos und voller Zweifel. In dieser Situation nahm sie die beobachtende Kamera von Gisela Tuchtenhagen als Stütze und führte eine Art Videotagebuch. Der Film “Mein kleines Kind” ist also nicht bloß nachträgliche Reflexion. Er ist tief verwoben in den Entscheidungsprozess. Die Kamera vermittelte Baumgarten, dass sich auch diese Krise der gewohnten Betrachtung nicht entzog, dass sie sich mit dem Leben der drei gesunden und glücklichen Kinder in ein Bild arrangieren ließ, also nicht das Fremde und Andere und Zerstörerische war, sondern Teil des Lebens.

Ein postmodern verspielter Film über die Gewalt der Abbildungsmaschine ist dies aber ganz und gar nicht. Baumgarten nutzt beeindruckend ruhige und schlichte Bilder, die so angenehm unprätentiös sind wie die knappen Beschreibungen ihrer Erzählstimme. Es geht nicht nur darum, eine existenzielle Erschütterung zu dokumentieren: Baumgarten will auch das Empfinden bewahren, dieses Kind, das sie ausgetragen hat und das zu Hause bei ihr starb, sei sehr viel mehr als seine Krankheit gewesen.

THOMAS KLINGENMEIER

Stuttgarter Nachrichten, 11. April 2003 – Pränataldiagnostik auf dem Prüfstand

Eine von vielen wahren Geschichten: Die junge Frau heißt Katja Baumgarten und ist Hebamme und Filmemacherin. Die Berufskombination hat sie wohl dazu bewogen, dieses schwierige Thema anhand ihrer eigenen Person zu beschreiben. Ihr persönliches Dilemma der Entscheidung über Leben und Tod, die Wochen vor der Geburt und die Geburt selbst stellt sie exemplarisch zur Diskussion für die vielen Fälle, in denen Eltern auf Grund einer pränatalen Diagnostik zum Schwangerschaftsabbruch geraten wird. Sie tut dies in Gesprächen mit Freunden wie auch der Kamerafrau, ihrer Freundin Gisela Tuchtenhagen. Sie liest Tagebucheintragungen vor, zeigt Familienleben und intime Augenblicke.

Dennoch bleibt “Mein kleines Kind” ein zuweilen recht langwieriger Versuch, die subjektive Dokumentation eines Einzelschicksals, die in ihrer Qualität einem Amateurvideo gleicht. Hintergründe liefert sie kaum, auch nicht andere Meinungen zum Thema. Allein das Thema und die Offenheit, mit dem es behandelt wird, macht den Film interessant.

EVA MARIA SCHLOSSER

Die Tagespost, 8. April 2003 – Die Entscheidung für das Kind

Katja Baumgartens Film ist kein flammendes Plädoyer für das Recht auf Leben, sondern ein leises, unplakatives, sehr ehrliches. Aber gerade dadurch gewinnt es eine Stärke, die auch Zuschauer mit anderen ethischen Vorstellungen überzeugen kann.

VERONIKA BLASEL – Würzburg

SWR1 “Sonntagsmagazin”, 6. April 2003 – Kinotipp: “Mein kleines Kind”

Behutsam, in langen Einstellungen dokumentiert der Film “Mein kleines Kind” eine sogenannte Risiko-Schwangerschaft. Katja Baumgarten weiß um die Schwere der Behinderung ihres ungeborenen Kindes: Die pränatale Diagnose hat ergeben, das es nicht lebensfähig sein wird. Vor diesem Hintergrund stellt sich für die schwierige Frage Abtreibung – oder Austragen mit der Gewissheit, dass das Kind nach der Geburt sterben wird. Katja Baumgarten formuliert die Ambivalenz: (O-Ton) “Ich weiß nicht, ob ich’s tragen kann, ich hab da wirklich große Sorgen – dann trage ich’s noch viereinhalb Monate und dann lebt es vielleicht noch ein bis zwei Monate – und es wird meine ganze Kraft brauchen, ich merke jetzt schon, dass ich nichts zustande kriege, gar nichts, die kleinsten Sachen nicht.”

Sie entscheidet sich dazu, das Kind auszutragen. “Mein kleines Kind” ist die ungewöhnliche Dokumentation einer Schwangerschaft, mit der sich die Regisseurin bis zum Rand Selbstentäußerung wagt. Katja Baumgarten ließ sich von Gisela Tuchtenhagen filmen, wie sie im Bewusstsein des zu erwartenden Todes des Neugeborenen in betonter Harmonie mit sich und ihren drei Kindern, unterstützt von Freundinnen, diese Schwangerschaft durchlebt. Die Kamera ist auch bei der Hausgeburt dabei und dann beim Tod des kleinen Jungen, der nach drei Lebens-Stunden an der Brust seiner Mutter stirbt. Daraus ergeben sich Momente von großer Intensität, eine sensible Reflektion über den Verlust eines Kindes und den Trost durch Trauer. “Mein kleines Kind” ist in seiner Konsequenz auch ein Film, der pointiert die Frage nach dem Sinn oder Unsinn pränataler Diagnostik stellt und damit zu einer kontroversen Diskussion herausfordert.

HERBERT SPAICH

Sonntag aktuell, 30. März 2003 – “Mein kleines Kind”

Katja Baumgarten hat über die Zeit der Entscheidung für oder gegen Ihr Kind einen mutigen Film gedreht. Eine Geschichte aus der Welt der Pränataldiagnostik

Katja Baumgartens viertes Kind, ihr dritter Sohn, kam im Oktober 1997 zur Welt. Es war eine Hausgeburt, bei der seine drei Geschwister, die Großmutter, eine Hebamme, eine Ärztin und ein Arzt anwesend waren. Klein-Martin, wie ihn seine Mutter zärtlich nennt, wurde bei Kuchen und einem Gläschen Sekt begrüßt. Sogar die Kinder durften ausnahmsweise mit anstoßen. Eine fast heitere Atmosphäre lag an diesem sonnigen Herbsttag über dem kleinen Häuschen in Hannover. Draußen im Garten wiegten sich die Büsche im Wind. Auf dem Bauch seiner Mutter lernte das Neugeborene Nähe und Wärme kennen. Von ihrer Hand umhüllt und geschützt ist er dort auch gestorben. Friedlich und nicht unerwartet, weil alle mit diesem Abschied gerechnet hatten.

Aber weil er da sein durfte, blieb er kein Neutrum, kein namenloser Fötus, kein vor der Zeit beendetes Leben. Er war Martin Tim, auch wenn er nur dreieinhalb Stunden gelebt hat. Aber in diesen wenigen Stunden war Frieden. “Der Kleine hat Ruhe ausgestrahlt. Diese Stunden waren etwas ganz Besonderes. Er hat geatmet. Wir haben uns angeschaut”, erinnert sich seine Mutter. Der autobiographische Dokumentarfilm, den sie, die Hebamme und Filmemacherin Katja Baumgarten (43), zusammen mit ihrer Freundin, der Kamerafrau Gisela Tuchtenhagen, gedreht hat, erzählt von diesem hart erkämpften Frieden; und stellenweise atmen die Bilder genau diese Ruhe. Der Film verschweigt aber auch nicht die Nöte und Ohnmachtsgefühle, die die Schwangere durchlebt hat, als von einer Minute auf die andere das Leben ihres ungeborenen Kindes zur Disposition stand. Der Film “Mein kleines Kind” ist in Notwehr entstanden. Er zeigt Schmerz und Ratlosigkeit, weil die anstehende Entscheidung im Grunde das menschliche Vorstellungsvermögen übersteigt.

Dabei ist er kein bisschen voyeuristisch, auch wenn Katja Baumgarten nicht den Weg in die Verschwiegenheit des Privaten angetreten hat sondern offen über dieses Tabuthema redet. Er ist nur soweit eine Zumutung, wie Entscheidungen eine Zumutung sind, die die Seele sprengen. Denn es ist zwar vieles machbar, wie die Pränataldiagnostik zeigt. Aber nicht alles ist für jede Frau auch aushaltbar.

Verstörend schwer war für Katja Baumgarten die Zeit nach der routinemäßigen Ultraschalluntersuchung in der 21. Schwangerschaftswoche. “Verdacht auf Chromosomenanomalie und Herzfehler”. Kurz und nüchtern: “komplexes Fehlbildungssyndrom” lautete die Diagnose. An einem Junitag vor nun fast sechs Jahren sagte der Facharzt für Pränataldiagnostik zu der glücklich schwangeren 37-Jährigen: “Sie müssen sich entscheiden. Die sofortige Beendigung der Schwangerschaft ist in einer solchen Situation der übliche Weg”. Aber was heißt das, der übliche Weg? Vier Tage später erzählt die werdende Mutter der Kamera von Gedanken und Gefühlen, die sie schier zerreißen. So wie man einer Freundin erzählen würde.

Denn wie sollte sie überhaupt einen Weg finden, wo doch das völlige Chaos herrschte? Die gelernte Hebamme hatte in ihrer aktiven Zeit miterlebt, wie es ist, ein Kind vor der Zeit zur Welt zu bringen. Sie wusste um die körperlichen Schmerzen: “Ich hatte keine Illusionen, dass mir da etwas weggezaubert wird. Ich wusste, das sind meine Schmerzen, das ist mein Kind und hinterher ist es auch mein Leben”. Dazu kamen die Worte der Ärzte aus ihrer Ausbildungszeit, die den Frauen erklärten, ein Monster auszutragen. Baumgarten erinnerte sich an Kinder, die vorzeitig unter Einsatz von Wehen treibenden Mitteln geboren worden waren und den Hebammenschülerinnen “als interessante Fälle” auf einem Metallteller präsentiert wurden, auf dem sie “wahrscheinlich auch allein gestorben sind”. Konnte es denn sei, dass dieses kleine strampelnde Etwas in ihrem Bauch, eine Missbildung aus dem Lehrbuch sein sollte?

Klein-Martin ist zwar nicht so alt geworden wie sein 97-jähriger Urgroßvater. “Aber er hat uns viel beigebracht. Das ist auch in diesem kurzen Leben möglich gewesen,” sagt Katja Baumgarten ruhig und mit sich im Reinen. Und so ist und war es mehr Ergriffenheit und weniger lähmende Trauer, die sie empfindet, wenn sie an ihren verstorbenen Sohn denkt.

Trauer herrschte vorher in der Zeit der Entscheidung, erinnert sie sich. “Das Schlimmste waren die zwei Wochen nach der Diagnose, in denen ich morgens aufgewacht bin und mein Kind strampeln spürte.” Angst und die Ratlosigkeit waren Katja Baumgartens ständige Begleiter in dieser Zeit. Sie fühlte sich in einer Falle, aus der es keinen Ausweg gab. Äußerlich jedoch ging das Leben weiter. Wie jede andere Mutter versorgte die allein erziehende Frau ihre drei Kinder. Nicht immer war sie sicher, ob ihre Kraft für all das reichen würde.

Michael, der jüngste feierte einen Tag nach der Diagnose seinen dritten Geburtstag. Vergnügt packt er im Kreis der Familie seine Geschenke aus. Seiner Mutter, so bekennt sie auf die Frage von Tochter Paula geht es “schlecht, es könnte nicht schlechter sein”. Und dann erklärt sie den Kindern, “dass unser kleines Kind sehr krank ist, dass es sterben wird, wenn es geboren ist – auf jeden Fall sehr krank ist, wenn es nicht mehr in meinem Bauch ist”. All das verschweigt der Film nicht. Auch nicht das Unverständnis von Sohn Nikolaus, der in der Schule gerade die Bestrafungsarten des Mittelalters durchgenommen hat und nun nicht glauben kann, dass heutzutage ein ungeborenes krankes Kind getötet werden darf.

In seiner Bestürzung erfasst er den Konflikt, in den die Pränataldiagnostik seine Mutter gebracht hat, ganz genau. Aber damit ist Filmemacherin Baumgarten ungewollt auch ganz nah an dem Thema, das ihr Schaffen durchzieht: Die Geburt als existenzielle Erfahrung, in der sich das menschliche Leben im Kern darstellt.

Katja Baumgarten nahm sich die Zeit, die sie brauchte, um entscheiden zu können. Sie entschied sich für das nicht Planbare. Sie hat gelernt, “Grenzen zu achten”, die ihr kleiner Sohn nun mal hatte. Nur so konnte sie mit dem Wissen leben, dass sie ein Kind zur Welt bringen würde, von dem sie sich gleich darauf wieder würde verabschieden müssen. Und sie hat in den befreundeten Ärzten Menschen gefunden, die ihre Entscheidung akzeptiert und ihren Sohn bei der Geburt und danach begleitet haben. Ihre Hoffnung, “es möge gut ausgehen”, hat sich erfüllt.

HILKE LORENZ – Stuttgart

DIE TAGESZEITUNG, 27. Januar 2003 – Eine schöne Geburt, ein schöner Tod

Radikal autobiografisch: Filmemacherin und Hebamme Katja Baumgarten zeigt im Kino 46 “Mein kleines Kind”

Persönlicher kann Kino kaum sein: Die Filmemacherin und Hebamme Katja Baumgarten erfuhr 1997 bei einer Ultraschalluntersuchung, dass ihr Kind eine schwere Chromosomen-Anomalie hatte. In solch einem Fall ist ein Schwangerschaftsabbruch üblich. Sie aber entschied sich, ihr Kind nicht nur auszutragen sondern auch, es zu Hause zur Welt zubringen. “Um mein Kind in Frieden austragen zu können, musste ich seinem unausweichlichen Tod ins Auge sehen!” – mit diesem Satz charakterisiert die Filmemacherin ihren Standpunkt. Zusammen mit Kamerafrau Gisela Tuchtenhagen hat sie den Dokumentarfilm “Mein kleines Kind” über diese Lebenskrise gemacht.

taz: Frau Baumgarten, Ihre beiden Berufe oder Berufungen Filmemacherin und Hebamme ergänzen sich hier ja ganz eigentümlich.

KATJA BAUMGARTEN: Deshalb hatte ich auch sofort das Gefühl, wenn überhaupt jemand darüber einen Film machen könnte, dann bin ich das. Weil ich von verschiedenen Seiten Kenntnisse habe, und beide einander durchdringen und gegenseitig stärken.

taz: Wenn man den Film sieht, bekommt man den Eindruck, dass ihr Kind eine schöne Geburt und einen schönen Tod hatte. Ist das richtig?

KATJA BAUMGARTEN: Ehrlich gesagt ja! Alle meine Kinder sind auf gute Weise zur Welt gekommen, aber dies war eine besonders harmonische, schmerzarme und leichte Geburt. Ich hatte auch das Gefühl, dass Klein Martin sich danach bei mit wohl fühlte. Und als er dann gestorben ist, war das so friedlich und leicht, dass wir es kaum gemerkt haben. Ich hab damals gedacht, wenn es bei mir mal so weit ist, wünsche ich mir auch solch eine Art von Tod.

taz: Sie sagen, dass nur Sie diesen Film haben machen können. Wäre es möglich, noch einen Schritt weiter zu gehen und zu sagen, dass nur für Sie auch solch eine Geburt möglich war? Sie kennen das Metier, hatten kompetente und liebevolle Helfer. Waren Sie nicht jeder anderen Schwangeren gegenüber in einer privilegierten Position?

KATJA BAUMGARTEN: Dies war natürlich auch die Frucht von 16 Jahren Arbeit als Hebamme, in denen man gottseidank auch solche Menschen kennenlernt. Und ich habe ja von den vielen Geburten und auch aus den traurigen Erlebnissen soviel gelernt, dass ich mich für einen eigenen Weg entscheiden konnte. Ich wusste ziemlich genau, was ich nicht wollte.

taz: Aber ist dies wirklich eine Alternative? Schwebt Ihnen eine neue Form des Umgangs mit diesen Schwangerschaften vor?

KATJA BAUMGARTEN: Es geht mir ja nicht unbedingt darum, dass diese Kinder unbedingt alle bei Hausgeburten zur Welt kommen. Aber alle Beteiligten sollten da mehr Verantwortung übernehmen und sich fragen, was ist für diese Kinder, die nicht lange leben werden, gut? Ist es besser, wenn das Kind bei mir liegt, von mir geschützt ist, vielleicht meine Muttermilch noch trinken kann und geliebt wird? Oder ist es wichtiger, dass da noch viel an ihm herumgemacht, untersucht und intubiert wird – was soll das alles in solch einem Moment? Wichtig ist, dass jede Frau in dieser Situation wissen sollte, dass ihr der blinde Glaube an die Medizin nicht weiterhilft. Dass sie in solch einer Frage von Leben und Tod nur nach ihren ureigenen Werten entscheiden und ihren eigenen Weg gehen sollte.

Gespräch: WILFRIED HIPPEN – taz Bremen

NEUE PRESSE, 22. Januar 2003 – Ein Plädoyer für die Würde *****

Das KoKi Hannover zeigt den Film “Mein kleines Kind”.
NP-Redakteur Mathias Halbig sprach mit Regisseurin Katja Baumgarten

NP: Ein düsteres Thema. Ein Kind wächst in Ihrem Leib heran. Es wird geboren, es stirbt…

KATJA BAUMGARTEN: Aber es ist kein düsteres Werk geworden. Das war mir wichtig. Es findet sich sogar Situationskomik darin, Komik des Alltags. Ich wollte keinen Betroffenheitsfilm, ich wollte das ganze Spektrum abdecken.

NP: Wie kam die Entscheidung, den Film zu machen?

KATJA BAUMGARTEN: In der eigenartigen Situation nach der schlimmen Diagnose. Unter Schock kommt man oft auf Gedanken, die erst einmal absurd anmuten.

NP: Wie fühlten Sie sich damals?

KATJA BAUMGARTEN: Die schlimmste Trauer kam schon nach der Diagnose. Zu wissen, dass mein Kind nicht lange leben würde. Dann gab es die Signale, wenn er gestrampelt hat. Da habe ich mich immer gefreut.

NP: War die Arbeit schwer?

KATJA BAUMGARTEN: Ich habe vier Jahre an dem Film gearbeitet, die Bänder erstmal ein Jahr ruhen lassen, Zeit mit meinen anderen Kindern verbracht. Und brauchte dann auch öfter Abstand.

NP: Ist der Film ein Plädoyer für das Leben?

KATJA BAUMGARTEN: Er ist vor allem ein Plädoyer für die Würde. Ich habe sehr starke Erinnerungen an Klein-Martin. Wie er geboren wurde, wie er auch meine Milch getrunken hat und dann irgendwann eingeschlafen ist. Wie er harmonisch in den Kreis der Familie aufgenommen wurde und von allen verabschiedet wurde. Der Film zeigt das, der Film handelt natürlich auch vom Tod. Aber er zeigt ihn als etwas friedvolles.

NP: Welche Reaktionen erleben Sie im Kino?

KATJA BAUMGARTEN: Meist eine tiefe Ergriffenheit. Viele hatten vorher Angst, in den Film zu gehen, hinterher fühlten sie etwas Erlösendes. Natürlich wird eine Grenze ausgereizt, aber nicht um des Ausreizens Willen, sondern um etwas klar zu machen. Das Thema wird ja meist verschwiegen. Und mir war klar, dass ich – wenn ich nicht filmen würde – die Geschichte nie wieder so erzählen können würde, wie sie damals war.

MATHIAS HALBIG – Hannover

Badische Zeitung, 7. Oktober 2003 – Sie hatte kaum Luft geholt
BZ-Gespräch mit Regisseurin Katja Baumgarten, die den Auftakt der Filmreihe zum Thema Behindert-Nichtbehindert begleitet

Am 22. Oktober 1997 kam Martin Baumgarten zur Welt. Zu Hause, im Kreise der Geschwister, Freunde und Ärzte. Dreieinhalb Stunden lebte Martin außerhalb des Bauchs seiner Mutter Katja Baumgarten. “Ich hatte das Gefühl, dass sein Dasein auch für ihn vollendet war.”, sagt Baumgarten im Gespräch mit der BZ. Die Regisseurin ist im Krone-Theater zu Gast, ihren Film zu begleiten, den Besuchern Rede und Antwort zu stehen.

“Er hat ganz normale Dinge vom Leben mitbekommen. Er hat meine Milch getrunken. Er hatte seine Geschwister und Menschen um sich, die ihn so wie er war respektierten. Er wurde gestreichelt und bekam von seinem Bruder ein kleines Spielauto gezeigt.” Katja Baumgarten lebt und arbeitet in Hannover. Sie ist Mutter, Hebamme und Filmemacherin. Bei einer Routineuntersuchung im sechsten Monat erfuhr sie, dass Martin ein “komplexes Fehlbildungssyndrom” zeige, der Verdacht auf Chromosomenanomalie bestehe, die Überlebenschancen schlecht, das Kind in jedem Fall schwerst behindert sei. “Die sofortige Beendigung der Schwangersschaft ist in dieser Situation der übliche Weg”, waren die Worte des Pränataldiagnostikers. “Ich hatte noch nicht einmal Luft geholt, schon hatte ich über Leben und Tod eines meiner Kinder zu entscheiden”, berichtet Baumgarten.

Ihr “Ja” zu Martin hieß, sagt Baumgarten, die Bedingungen zu akzeptieren, die Martins Schicksal stellte, über Geburt und Tod nachzudenken und mit wenigstens einem Tabu zu brechen. Und das “Ja” bedeutete selbstverständlich, ihm das zu geben, was sie allen ihren Kindern gegeben hatte. “Ich hatte große Sorge, ob ich das alles ertrage”, erinnert sie sich.

Noch am Tag der Diagnose habe sie die Kamerafrau Gisela Tuchtenhagen, ihre sehr vertraute Freundin angerufen. Vier Tage später war sie bei mir.” Beide Frauen dokumentierten mit der Kamera was Baumgarten und ihre Familie bis zu Martins Geburt bewegte, plagte, zweifeln und freuen ließ.

“Ein Schwangerschaftsabbruch kann ein düsterer Schatten sein”

“Na ja, ich hatte schon ein Stück Frauenleben hinter mir”, kommentiert Baumgarten die Frage, ob ihr die Entscheidung für Klein-Martin – wie sie ihn liebevoll nennt – leichter gefallen sei, weil sie Hebamme ist. Teil ihrer Antwort sind auch die kritischen Gedanken der 43-Jährigen zu den Vor- und Nachteilen, die die Frauenbewegung für werdende Mütter mit sich brachte. Nicht etwa gegen die Befreiung der Frau wende sie sich, betont Baumgarten. Sie wolle darauf hinweisen, dass die Möglichkeit zum Abbruch oft zu schnell umgesetzt werde: “Ein Schwangerschaftsabbruch kann ein düsterer Schatten sein, der eine Frau manchmal ein ganzes Leben begleitet.”

Für Martins Leben habe sie sich ebenso verantwortlich gefühlt, wie für das Leben ihrer drei anderen Kinder. “Es war zwar wahrscheinlich, dass Klein-Martin ein kurzes Leben haben wird.” Doch unter anderem durch das “Nein” zur Intensivbehandlung nach der Geburt habe sie Martin einen tiefen und “ganz normalen” Respekt in seine unabänderlichen Bedingungen erwiesen.

Erst ein Jahr nach Martins Geburt und Tod habe sie sich die Videoaufnahmen angeschaut. Vier Jahre lang habe sie an dem Dokumentarfilm “Mein kleines Kind” gearbeitet. Bevor er veröffentlicht wurde, haben Martins Geschwister ihre Zustimmunng gegeben, berichtet Baumgarten: “In gewisser Weise ist der Film radikal. Ich sehe ihn durchaus politisch.” So verwundert es nicht, dass es auch Ablehnung gibt. “Viele Festivals haben den Film zurückgeschickt.”

Obwohl Baumgarten im Film viele Grenzen zu überschreiten scheint, fordern seit der Erstaufführung auf der Berlinale 2002 immer mehr Menschen und Institutionen – Hebammen, Ärzte, Kirche, Beratungsstellen – den Film an. Probleme der Pränataldiagnostik müssen diskutiert, Standpunkte zum Leben behinderter Menschen erarbeitet, ein würdiger Umgang mit Leben und Tod entwickelt werden.

Bei aller Tragik bietet Baumgartens Dokumentarfilm “Mein kleines Kind” Zuversicht und eine einfühlsame wie unbedingte Aufforderung zum Nachdenken.

GABI THIELE

BRAUNSCHWEIGER ZEITUNG, 12. SEPTEMBER 2003 – Ein Herzfehler mitten im Bauch

Nach den idyllischen, in der Ästhetik eines Familienfotos gehaltenen Szenen der Begrüßung von Martin kehrt sie nocheinmal an diesen Punkt zurück, reflektiert nahezu versöhnlich die Position der Medizin, die Position der Mutter. Danach viele Sekunden lang das Bild der Mutter, ihr totes Kind an die Brust geschmiegt.

Das Sterben bleibt dem Betrachter erspart. In der Diskussion versichert Baumgarten, das Kind sei “friedlich eingeschlafen”. Doch bleibt ein Unbehagen zurück: Kann SSTerben so friedlich sein, wie die Szenen davor – oder wird uns hier etwas erspart, was das Plädoyer für das Leben Martins trüben könnte?

Die Kamera, die so tief ins Private eindringen durfte, hält sich nach der geburt zurück. Nur der Ultraschall beleuchtet das Kind gandenloser Offenheit, nach seiner geburt nimmt die Kamera es als Teil der Familie, als zu Umsorgendes wahr. Über sein Aussehen hatte die Autorin sich vor der geburt Sorgen gemacht, ob sein Gesicht schön sein würde oder entstellt. Absurd scheint diese Furcht angesichts der schweren Behinderungen wichtiger Organe, des Herzfehlers, des offenen Rückens, der verkrüppelten Arme.

ANNE BEELTE – Braunchweig


NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG
, 17. Juni 2003 – “Es bleibt ein vollendetes Leben” – Regisseurin und Hebamme: Katja Baumgarten zu Gast im Cinema-Arthouse

Es ist buchstäblich eine Frage über Leben und Tod. Und ein Thema das viele entzweit, aber Betroffenen selten den richtigen Rat gibt. Denn was passiert, wenn eine werdende Mutter erfährt, dass ihr Kind schwerstgeschädigt zur Welt kommen wird, sie damit womöglich vor der Entscheidung steht, ob sie die Schwangerschaft abbrechen soll? Das zeigt eindrucksvoll der autobiografische Dokumentarfilm “Mein kleines Kind”

Viel Beifall fand dafür Regisseurin und Hebamme Katja Baumgarten, auch für die Entscheidung, ihren Sohn Martin doch zu gebären – gegen alle Widerstände. Sie selbst sei “erst etwas verschämt” gewesen, viele Bekannte und Verwandte konnten sie damals nicht verstehen. Umso mehr gilt es aufzuklären. Diese Botschaft kam an, als Katja Baumgarten an Freitag ihren Film persönlich im Cinema-Arthouse vorstellte.

“Es ist so wie es ist. Denn egal, ob jemand 97 Jahre alt wird, wie mein Großvater, oder nur dreieinhalb Stunden wie Klein-Martin – was bleibt ist ein vollendetes Lebe”, so Baumgarten. “Und das, was mein Kind mir und meiner Familie gezeigt hat, war, dass wir das Leben intensiver im Angesicht des Todes leben können. Es herrschte so viel Frieden und Ruhe bei Martins Tod, dass er mir den Schrecken vorm Sterben genommen hat.”

Und all die ethischen Diskussionen? “Gerade da brauchen wir einen anderen Zugang als den rein intellektuellen”, so die Filmemacherin. Nur sehe die Praxis leider anders aus: “Viele wissen gar nicht, auf was sie sich bei einer Abtreibung einlassen. Es läuft ab, wie eine Geburt, inklusive Wehen und oft mit großen Schmerzen – körperlichen wie seelischen. Doch mit denen wird man meist allein gelassen.” Entscheidungsfreiheit? Freilich, jede Situation sei verschieden, so Baumgarten, aber Alternativen zur gängigen Praxis würden oft verschwiegenund der Rat zur Abtreibung zu schnell gegeben. “Wenn alles so diffus ist, kann man keine klare Entscheidung treffen.” Und eines sollte immer im Mittelpunkt stehen: “Die Würde, die man der Mutter, dem Kind und dem Leben entgegenbringt.”

Ein Film gegen den Gentechnik-Trend, gegen Designerbabys also, aber auch für eine menschlichere Form der Medizin. Und, die Reaktionen zeigten es, ein bewegendes Stück Kino, dass nicht nur Mut zeigt, sondern auch Mut Macht.

TOBIAS SUNDERDIEK

Hebammen-Forum, Oktober 2003 – Verbandszeitung des Bundes Deutscher Hebammen (BDH) – “Mein kleines Kind” – Mut für neue unkonventionelle Wege

Schülerinnnen der Hebammenschule Bremerhaven
AlsHebammenschülerinnen im ersten Ausbildungsjahr besuchten wir gemeinsam in Bremen Katja Baumgartens Film “Mein kleines Kind”. Der folgende Artikel soll weniger eine umfassende Besprechung des Films sin, sondern eher unsere Eindrücke und Empfindungen wiedergeben.

Wenig Raum für Fragen, Zweifel und Ängste
Ein Film, der uns auf ganz unterschiedliche Weise bewegt und zum Nachdenken gebracht hat. Ein Film, in dem wir, entgegen unseren Erwartungen, auch gelacht haben. Gesehen haben wir ihn aus ganz unterschiedlichen Sichtweisen. Als Hebammenschülerinnen, die ständig, wenn auch eher indirekt, mit pränataler Diagnostik konfrontiert sind, als Mütter und als Frauen, die noch vor der Entscheidung stehen, Kinder zu bekommen. All diese unterschiedlichen Perspektiven machten sich in unserer Diskussion bemerkbar.

Zunächst einmal hat uns die Offenheit von Katja Baumgarten, ihren Freunden, ihren Kindern und ihrer Familie beeindruckt: dass trotz des existentiellen Themas so wenig Schwere zu spüren war.

“Sie müssen entscheiden!”, sagte der Facharzt für Pränataldiagnostik.

Zentrales Thema des Films sowie der anschließenden Diskussion war für uns die Phase der Entscheidungsfindung von Katja Baumgarten. Eine Zeit, in der Frauen mit schwer wiegenden Diagnosen während der Pränatalzeit allein gelassen werden. Sie sollen in kürzester Zeit eine Entscheidung über Leben und Tod ihres ungeborenen Kindes treffen. Und dass genau diese Entscheidungen auf sie zukommen, darauf werden Frauen vor der Diagnostik nicht vorbereitet. Dazu kommt, dass sie meist unter Schock stehen.Es wird ihnen wenig Raum für Fragen, Zweifel, Ängste und Widersprüche gelassen. Oft wird zu einer, nicht nur aus medizinischer Sicht unnötigen, schnellen Entscheidung gedrängt. Wobei die Frauen keinerlei Unterstützung erfahren.

Hier werden die unterschiedlichen Blickwinkel klar. Der Arzt sieht einen nicht überlebensfährigen Fötus, Katja Baumgarten sieht ihr Kind, dessen Bewegungen sie spürt, für das sie sich entschieden hat und auf das sie sich freut.

Das geht auch uns etwas an
Und dann wird eben doch ein Abbruch nahe gelegt. “Das ist in solchen Fällen der übliche Weg.” Entscheidet sich die Frau dagegen, tut sich ein neuer Widerspruch auf. Zwar kann das Kind jederzeit abgetrieben werden (obwohl den meisten Frauen nicht klar sein dürfte, dass ein Schwangerschaftsabbruch zu diesem Zeitpunkt eine eingeleitete Geburt ist), aber das Kind auszutragen, es dann “seinen Weg gehen zu lassen” – sprich, es sterben zu lassen, darf wiederum nicht sein.

Das Beeindruckende an Katja Baumgartens Film ist, dass sie nicht versucht, zu sagen, welcher Weg der richtige ist. Ohne pränatale Diagnostik hätte diese Geburt paradoxerweise nicht so verlaufen können. Sie plädiert dafür, den Frauen die Zeit, das Wissen, die Möglichkeit, die Unterstützung zu geben, den für sie richtigen Weg zu gehen.

Und darin sehen wir als zukünftige Hebammen eine unserer Aufgaben: Frauen umfassen zu informieren, ihnen aufzuzeigen, dass es nicht nur eine Möglichkeit gibt, und dann zu versuchen, sie in ihrem persönlichen Weg zu unterstützen. Dabei wurde in unserer Diskussion klar, dass auch wir unterschiedliche Grenzen haben. Hierbei ist es wichtig unsere eigene Sichtweise zu erkennen. Das könnte bedeuten, dass wir nicht jede Frau auf ihrem Weg begleiten können. Der Film macht Mut, neue, auch unkonventionelle Wege zu gehen und die Chance, die darin liegt, zu erkennen.

Erschreckende Hilflosigkeit
Obwohl es in dem Film nicht das entscheidende Thema war, so war in unserer eigenen Diskussion doch das kurze Leben und würdevolle Sterben von Martin ebenfalls ein Schwerpunkt. Sicher liegt es daran, dass wir alle schon mit toten Kindern, sterbenden Kindern, Spät- oder Frühaborten und verwaisten Eltern zu tun hatten. Hier fühlten wir uns natürlich immer angesprochen, wenn Katja Baumgarten aus ihrer Zeit als Hebammenschülerin erzählte. Noch immer werden tote Kinder nicht überall mit der nötigen Würde behandelt. Besonders wenn es sehr frühe Geburten waren. Oft werden diese nicht einmal als Geburten wahrgenommen.

Auch der Umgang mit den Müttern und Eltern ist von einer erschreckenden Hilflosigkeit geprägt. Eine Hilflosigkeit, die natürlich auch wir spüren, mit der wir uns allein gelassen fühlen. Hier in den Krankenhäusern bessere Wege zu finden, ist sicher nicht leicht. Doch zu sehen, wie Martin in geborgener Atmosphäre zur Welt kommen, leben und sterben durfte, das macht Mut.

Es ist völlig unmöglich alle Gedanken, Gefühle und Aspekte zu diesem Film zu benennen. Wir möchten hier nur den Wunsch äußern: Dieser Film sollte an Schulen, spätestens beim Thema “pränatale Diagnostik” gezeigt werden. Eigentlich sollte er Pflicht für alle sein, die sich mit dem Thema befassen.

CHRISTINE SELLSCHOPP für die Hebammenschülerinnen aus Bremerhaven

Hebammen-Forum, Januar 2003 – Verbandszeitung des Bundes Deutscher Hebammen (BDH) – “Mein kleines Kind”

Aus dem Zustand der Fassungslosigkeit, Hilflosigkeit und Angst entsteht ein Prozess der Entscheidungsfindung. Viele mögliche Wege werden durchdacht, emotionle, rationale und nicht zuletzt forensische Gründe werden in die Überlegungen mit einbezogen, bis die Entscheidung getroffen ist: Martin Tim kommt zu Hause zur Welt und stirbt umgeben von seiner Familie.

Katja Baumgartens Film zeigt auf beeindruckende Weise die Suche nach einem Ausweg in einer scheinbar ausweglosen Situation. Die Zuschauerin nimmt teil an den Gefühlen: Schock, Verzweiflung, Trauer, Angst, Einsamkeit, Zeitdruck in einer zeitlosen Situation – und an der Wende, als sich ein Weg aufzeigt.

Diese Geschichte macht auf die Missstände in der psychischen beziehungsweise emotionalen Betreuung der Frauen im Bereich der pränatalen Diagnostik aufmerksam und zeigt die ganze Paradoxie der rechtlichen Situation in Deutschland. Trotz allem: Diese Frau findet gemeinsam mit ihrer Familie und Freunden ihren eigenen und damit richtigen Weg.

Der Film “Mein kleines Kind” ist eine Bereicherung für alle, die an der Schwelle zwischen Leben und Sterben arbeiten und kann allen Hebammen und vor allem Ärzten, die Frauen in ähnlichen Situationen begleiten, nur nahegelegt werden.

Für uns Hebammenschülerinnen wird eine neue Perspektive auf “andere Wege” eröffnet. Vielen Dank, Katja Baumgarten, für so viel Mut, Offenheit, und einen so bewegenden Film.

KARIN DANHOF – Göttingen

ARD / Brisant, Sendung vom 10. Dezember 2002 – Entscheidung über Leben und Tod

Dokumentarfilm “Mein kleines Kind”

Als Katja Baumgarten im sechsten Monat erfährt, dass das Kind in ihrem Bauch schwerstbehindert und kaum überlebensfähig sein wird, entscheidet sie sich für ihren Sohn. Sie beschließt, ihn mit einer Hausgeburt zur Welt zu bringen, um ihm unnötige und lebensgefährliche Operationen zu ersparen.

Von der Zeit nach der Diagnose bis hin zu Geburt und Abschied hat Katja sich damals von einer befreundeten Kamerafrau begleiten lassen. Aus dem Material ist der sensible Dokumentarfilm “Mein kleines Kind” entstanden, der ab Januar in die deutschen Kinos kommt.

10.12.2002 | 18:09

Die Welt 21. November 2002 – Dokumentarisches in Duisburg

In den Neunzigern geriet nach dem Schiffbruch universaler Ideale jegliche Allgemeinverbindlichkeit in Misskredit. Die individuelle Geschichte der Filmemacher rückten ins Zentrum. Befördert durch die intime Digitaltechnik, etablierte sich der Ich-bezogene Film. Die Duisburger Dokumentarfilmwoche bot dafür Beispiele.

Eine persönliche Betroffenheit schildert in der Doppelrolle als Protagonistin und Autorin Katja Baumgarten in “Mein kleines Kind”: Selbst Hebamme, wird sie vor die Entscheidung gestellt, ihr Kind auszutragen oder nicht: Das ungeborene Kind würde schwer behindert sein. Auch wenn der Film nie peinlich wirkt, so lieferte er als wohl umstrittenster Festivalbeitrag eine steile Vorlage für Debatten über Grenzen dokumentarischen Arbeitens.

MARGARETE WACH

Rheinische Post, 8. November 2002 – Schwangerschaft, Hausgeburt – und Abschied
Duisburger Filmwoche: Dokumentationen aus Ethnologie, Alltag, Poesie und höchst Privatem

In welchem Maße darf man Privates öffentlich machen? Diese Frage drängt sich bei der Dokumentation “Mein kleines Kind – pränatale Diagnostik” auf. Katja Baumgarten ist gelernte Hebamme und Filmemacherin, außerdem alleinerziehende Mutter von drei Kindern. Vor fünf Jahren erwartete sie ihr viertes Kind. In der 21. Schwangerschaftswoche wurde bei einer Ultraschalluntersuchung ein “komplexes Fehlbildungssyndrom” beim Fötus diagnostiziert.
Üblicherweise werde “in einem solchen Fall” die Schwangerschaft abgebrochen, erklären die Ärzte. Katja Baumgarten entschied sich indes dafür, das Kind, das – wie vorhergesagt – nur wenige Tage leben sollte, auszutragen.

In ihrem Film erzählt sie unverschleiert und mit bisweilen bestürzender Detailtreue, doch handwerklich wohlkomponiert von der Schwangerschaft, der Hausgeburt und dem Abschied vom Kind – eine Grenzerfahrung, die sie in ihrem Leben nicht missen möchte. Katja Baumgarten plädiert keineswegs gegen Abtreibungen. Sie zeigt aber, dass es auch bei solchen Diagnosen (Chromosomenanomalie) Alternativen gibt. Dazu half ihr, wie der Film beeindruckend zeigt, ein einfühlsamer Freundeskreis und eine wunderbare Mutter.

PETER KLUCKEN

Nach dem Film 02/03 – Introspektionen und Expeditionen bei der 26. Duisburger Filmwoche

In seinem kürzlich erschienenen Buch “Das Gefühl des Augenblicks” schrieb der Dokumentarfilmregisseur Thomas Schadt zum Thema Distanz und Nähe: Es “muss unbedingt darauf geachtet werden, dass der Blick von außen möglich ist, dass nicht der Eindruck vermittelt wird, es gäbe keinen Unterschied zwischen Privat- und Filmleben.” Und an anderer Stelle: “Nähe allein ist noch lange kein Garant, Mitgefühl und Identifikation mit den Protagonisten herzustellen.” Diese so schlicht wie entschieden vorgetragenen Leitsätze eines langjährigen Praktikers hätte man gerne den beiden Filmemacherinnen Katja Baumgarten und (…) ins Exposé geschrieben, die in ihren Filmen Innenansichten persönlichster Verwundungen boten und dabei die Grenzen zwischen filmischer und privater Realität komplett auflösten. Katja Baumgarten beschreibt in “Mein kleines Kind” ihre Wege der Auseinandersetzung und Entscheidungsfindung, nachdem sie erfahren hat, dass das Kind, das sie erwartet, schwer behindert sein würde. Interviewsituationen mit ihrer Kamerafrau und Freundin Gisela Tuchtenhagen, Gespräche mit ihren Kindern und assoziative, symbolhaft zugespitzte Bildeinfälle – Rosenmotive, Kerzenlichter -werden skandiert von Schrifttafeln, die sich auf einer diskursiven Ebene mit der Problematik der pränatalen Diagnostik beschäftigen. Am Ende wird der Zuschauer Zeuge einer Hausgeburt und – wenig später – vom Tod des frisch geborenen Kindes. Bei allem Mut zur entgrenzenden Selbstoffenbarung und dem unbestreitbaren Verdienst, ein tabuisiertes gesellschaftliches Thema in die Öffentlichkeit zu bringen, wird hier die offen ausgestellte Intimität zur Wagenburg-Ästhetik – mit nur geringen Chancen für den Betrachter, eine eigene Perspektive auf das Geschehen einzunehmen.

MARKUS STÖHR

Göttinger Tageblatt 31. Oktober 2002 – Behutsame Bilder einer Lebenskrise

Ein Bild – und zwei Wirklichkeiten. Das Ultraschallbild zeigt einen Fötus. Schwarz-weiß, schwer zu erkennen. Die werdende Mutter sieht Hände einen Kopf, Arme, Beine eine Zukunft – ihr Baby. Der Arzt hingegen erkennt einen schwer geschädigten Fötus, Fehlbildungen und Hoffnungslosigkeit. In der 21. Schwangerschaftswoche erfährt Katja Baumgarten, dass ihr Kind schwerbehindert auf die Welt kommen und nicht lange zu leben hat. “Sie müssen entscheiden”, überlässt der Facharzt der schwangeren Frau die schwere Wahl, das Kind auszutragen oder abzutreiben.

Katja Baumgarten hat ihre eigene Geschichte in einem beklemmenden Dokumentarfilm festgehalten. Als das sehr persönliche Material aufgenommen wurde, wußte sie noch nicht, ob sie es verwenden würde. Der Film zeigt den schweren Weg der Entscheidung, den Zweifel und die Angst. Die vier Monate von der Diagnose bis zur Geburt hat Gisela Tuchtenhagen, eine Freundin Baumgartens, dokumentiert. Sehr nahe intime Aufnahmen zeigen die Tränen der Mutter, die nach der Trennung vom Vater alleinerziehend für drei Kinder verantwortlich ist.

Ängste vor der Zukunft

Katja Baumgarten ist auch Hebamme. Sie kennt die Sterilität von Kliniken und fehlgebildete Kinder. In ihrer Ausbildung hat sie das “Gruselkabinett” der Fachbücher gesehen.

In Rückblenden, in Kontrasten und Symbolen nähert sich der Film behutsam dem Moment der Geburt an. Der Schrecken über die Diagnose und die Ängste vor der Zukunft lösen sich auf in den ruhigen Bildern von der Hausgeburt. Die Geschwister des Neugeborenen, Freunde und die Mutter nehmen das Kind an, begrüßen es und verabschieden es nach der Geburt wieder. Die wenigen Stunden seines Lebens hat der kleine Martin Tim Liebe erfahren.

VERENA LEIDIG

Angelica Ensel: Hebammen im Konfliktfeld der Pränatalen Diagnostik – Zwischen Abgrenzung und Mitleiden. Seite 189 bis 202: Interview mit Katja Baumgarten (während der Arbeitsphase am Film)

“Noch beim Arzt hatte ich das Gefühl, ich muss Gisela anrufen – egal wie ich mich entscheide und wie es weitergeht, denn in so einer extremen Situation ist ein Dokument wichtig. Ich wollte etwas davon bewahren. Das ist fast wie Notwehr – einmal für mich selbst aber auch der Gedanke: ich muss das zurückspiegeln. Ich will das nicht still für mich behalten, egal was jetzt passiert. Das geschieht alles so im Privaten, keiner redet darüber. Die Frauen schleppen da wer weiß was für Lasten mit sich herum. Das ist so eine extreme Situation. Ich wußte nicht, ob ich das veröffentlichen werde. Ich weiß es noch jetzt nicht genau. Aber als erstes wollte ich, dass die Geschichte nicht zerrinnt. Das ist so ein Kristallisationspunkt im Leben.”

“Ich wusste wirklich nicht, wie ich mich entscheiden werde. Ich wusste schon vorher, wie ich zu einem späten Schwangerschaftsabbruch stehe, aber wenn man in der Situation ist, ist das anders. Du bist ja hinterher fast selbst schuld, wenn du es dann nicht hinkriegst.
Wie ein Pionier kam ich mir vor, als ich mich entschieden habe, mein Kind auszutragen. Das ist eben der exotische Weg. Ich hatte kein Vorbild. Ich kannte keine Frau, die etwas ähnliches erlebt hatte. Es war 1997, da fing die öffentliche Diskussion darüber gerade erst an. In dem Moment, wo die Diagnose gestellt wird, ist man unter Schock.”

“Man kann diese Veränderungen für sich selbst nicht voraussehen. Gerade weil man so wenig dazu kennt in der eigenen Umgebung, kann man es nicht für sich durchspielen. Man trifft eine Entscheidung aus Schrecken und Angst, weil man eigentlich immer vom schlimmsten Fall ausgeht. Man kann die Entwicklung, die man durchmacht, nicht vorwegdenken und man kann nicht wissen, wie sich die Situation fügen wird.”

“Der Arzt hat gesagt: ‘Ich berate Sie jetzt bewusst neutral.’ Aber es ist nichts Neutrales. Wenn Niki oder Paula etwas passiert, würde mir auch keiner die Erlaubnis zum Töten geben. Da muss die Gesellschaft eben irgend etwas bereithalten, da macht es sich die Gesellschaft sehr einfach. Es wäre ja möglich, dass man da mehr Unterstützung bekommt, damit eine Frau in einer solchen Notlage sich gar nicht gegen ihr eigenes Kind entscheiden muss.”

Hebammengemeinschaftshilfe Schriftreihe 10, Karlsruhe 2002, ISBN 3-93-4021-10-7


Berliner Zeitung
, 8. August 2002 – Schwierige Freiheit
Ein Dokumentarfilm über die Schattenseiten der Pränataldiagnostik: “Mein kleines Kind”

Sektgläser klingen – hier wird “auf das Baby” angestoßen. “Mein kleines Kind”, ein Dokumentarfilm von Katja Baumgarten, beginnt mit einer Szene, der die Heiterkeit sogleich ausgetrieben wird. Das glaubt der Zuschauer jedenfalls. Am 23. Juni begibt sich Katja Baumgarten zu einer Ultraschalluntersuchung. Baumgarten ist Hebamme, Mutter, Regisseurin sowie Protagonistin und Ich-Erzählerin ihres eigenen Films und in der 21. Woche schwanger. Am 27. Juni richtet sich die Kamera auf das verzweifelte Gesicht dieser Frau. Sie hat erfahren, dass das Kind in ihr an einem “komplexen Fehlbildungssyndrom” leidet.

So wie die Bilder sich hier reihen, folgt auf den Sekt ganz offensichtlich eine katastrophale Nachricht. Baumgartens Film lässt mit Absicht lange unaufgeklärt, dass der Zuschauer falsche Bezüge herstellt, dass er sich täuscht, denn “Mein kleines Kind” verhandelt ein höchst unpopuläres Thema; der Film legt diese falsche Spur voller Geschick aus. Seit einiger Zeit fühlt Katja Baumgarten nämlich, wie sich das Kind in ihr bewegt. Sie freute sich auf das Baby, das ihr viertes Kind sein wird – eine ungeplante Schwangerschaft, die sie dennoch austragen will. Die Partnerschaft mit dem Vater ihrer drei Kinder ging darüber zu Bruch. Jetzt ist Katja Baumgarten allein erziehend. Sie ist zwar nicht einsam – Freunde und Verwandte helfen ihr -, doch mit der Diagnose ist sie allein. “Die Prognose muss als deutlich schlecht bezeichnet werden”, teilt ihr der Arzt für Pränataldiagnostik mit. Er teilt ihr auch mit, dass der “übliche Weg in solchen Fällen in einem sofortigen Abbruch der Schwangerschaft” liege.

“Mein kleines Kind” ist ein unkalkulierter Film über ein unkalkulierbares Ereignis. Seine ungeschönten Bilder und sparsamen Wortäußerungen machen ihn oft schwer erträglich. Das liegt nicht nur am schwierigen Thema, sondern auch daran, dass “Mein kleines Kind” den Zuschauer durch seine radikale Subjektivität mit der Endlichkeit vernünftiger Erwägungen konfrontiert. Der übliche Weg in solchen Fällen mag im sofortigen Abbruch der Schwangerschaft liegen, doch der Rat zum üblichen Weg – der vom Gesetzgeber, von den Medizinern und von den meisten “Laien” ohne Zweifel als entlastend verstanden wird -, bezieht nicht mit ein, dass eine im fünften Monat schwangere Frau mit dem Kind in ihrem Bauch identifiziert sein kann. Baumgartens Film führt also vor, wie die Vernunft von Gesetzen und ethische Ernsthaftigkeit einander ausschließen können.

Der Alltag ist der wesentliche Erfahrungshintergrund von Baumgartens Film. Baumgartens Alltag ist von Kindern geprägt; Achtung und Aufmerksamkeit spielen eine wesentliche Rolle. Vor diesem Erfahrungshintergrund reflektiert Baumgarten den unterschiedlichen Umgang mit Lebenswerten entschieden persönlich; das generelle Recht auf Abtreibung stellt sie nie in Frage. Baumgartens geringstes Problem ist noch, dass auch Freunde der Filmemacherin so reserviert auf deren vierte Schwangerschaft reagieren, als sei die nun wirklich übertrieben. Da spielt die Achtung vor dem anderen Lebensmodell keine Rolle – man schließt sich der sozialen Norm an. Mit dem Bekanntwerden der Diagnose schlägt dieses Befremden um in Verständnislosigkeit für die “Unentschlossenheit” der Schwangeren. Der Film führt nun vor, dass Ultraschallbilder verschiedenen Betrachtern verschiedene Dinge sagen. Die Schwangere sieht ihr “kleines Kind”, der Spezialist den Defekt. Die Schwangere sieht das Herz ihres Kindes schlagen, der Arzt sieht einen Herzfehler. Zwischen diesen Sichtweisen gibt es keine Vermittlung.

Die befremdlichsten Probleme ergeben sich jedoch auf der juristischen Ebene – gerade weil Katja Baumgarten es ernst nimmt mit der Achtung für das Leben (man sieht es auch daran, wie sie mit ihren Kindern umgeht) und der Freiheit zur Entscheidung, konfrontiert sie der Gesetzgeber unerwartet mit ihrer relativen Rechtlosigkeit: Der Schwangeren ist es zwar erlaubt, das Leben des Ungeborenen zu beenden. Sollte sie das behinderte Kind jedoch wider Erwarten austragen, würde ihr der Säugling sofort durch die Ärzte entzogen. “So oder so”, ganz gleich wie ihre Entscheidung nun ausfällt, ob sie die Schwangerschaft nun austrägt oder abbricht, würde Katja Baumgarten nicht für ihr Kind sorgen dürfen.

Der Film begleitet den Prozess der Entscheidungsfindung. Religiöse Erwägungen spielen dabei keine Rolle, – einzig die praktische, alltägliche Erfahrung bestimmt den philosophischen Hintergrund des Films. Katja Baumgarten hat als Hebamme Frauen betreut, die behinderte Kinder abtrieben oder zur Welt brachten, welche die Ärzte “Monster” nannten. Baumgarten hat erlebt, wie der “Abfall der Natur” entsorgt oder würdelos in der Forschung vorgeführt wurde. Wer will ihr verdenken, wenn sie nicht möchte, dass ihrem Kind, dem sie bereits einen Namen gegeben hat, dasselbe widerfährt?

Dokumentarfilme enthalten mehrere Wahrheiten: die visuelle und verbale Wahrheit des Films, die Wahrheit der Erfahrungen und die narrative – die Wahrheit der Erzählung. All diese Wahrheiten finden hier zusammen, um den Zuschauer so zu irritieren wie mit der anfänglichen Reihung von Sektgläsern und Ultraschallbild. Baumgartens Bilder enthalten viele Wahrheiten.

“Mein kleines Kind” ist verständlicherweise auch ein Aufarbeitungsfilm. Er spiegelt die Sensibilität der Filmemacherin ebenso wieder wie die Überforderung der schwangeren Frau angesichts der Aufgabe, über die Dauer eines Lebens und die Bedingungen des Todes zu entscheiden. Welche Lebenswerte haben Vorrang? Auch die drei schon geborenen Kinder benötigen sie ja. Welche Folgen wird eine Entscheidung haben? Wer “Mein kleines Kind” gesehen hat, wird den medizinischen Fortschritt, sei es in der Pränataldiagnostik oder Gentechnik, in einem anderen Licht sehen. Am Ende schenkt der Film jedoch Ermutigung: Hier hat jemand seine Überzeugungen nicht nur vermitteln, sondern auch gegen ambivalente Weisungen verteidigen können. Hier wurde die Diskussion um Lebenswerte nicht von Experten in Anzügen, sondern von der Erfahrung einer Frau geleitet.

ANKE WESTPHAL

Berliner Morgenpost, 8. August 2002 – Blick zurück im Schmerz – Schonungsloser Dokumentarfilm

Dies ist ein autobiografischer Dokumentarfilm, der wohl niemanden unbewegt läßt, der Fragen nach den Grenzen des Persönlichen aufwirft und der Existenz, nach individueller Verantwortung.

“Sie müssen entscheiden, die sofortige Beendigung der Schwangerschaft ist in einer solchen Situation der übliche Weg.” Katja Baumgarten hört die Stimme des Facharzt für Pränataldiagnostik wie durch Nebel. Es besteht Verdacht auf Chromosomenanomalie, das Kind wird nicht lange lebensfähig sein. Fast ein Todesurteil für den Fötus. Soll sie dieses in ihrem Bauch strampelnde Wesen durch eine vorzeitig eingeleitete Geburt sterben lassen oder ihm Leben und Tod in Würde geben? Die dreifache Mutter, Hebamme und Filmemacherin trägt das Kind aus. Ihre Freundin, die renommierte Kamerafrau Gisela Tuchtenhagen begleitet sie durch die schwierige Zeit der Ungewissheit und des Zweifels bis zur Geburt des kleinen Martin Tim, dokumentiert auf Video das Alltagsleben und die persönliche Lebenskrise Katja Baumgartens, ihre Reflexion über den Entschluss, Gespräche mit den Kindern.

Die Kamera ist immer ganz nah dran, ohne voyeuristisch zu sein. Während die Ärzte auf den Ultraschallbildern nur Deformationen erkennen, sieht die Mutter einen werdenden Menschen. Gegen die Kalte Medizintechnologie steht die familiäre Atmosphäre, eine Geborgenheit, die Gefühle erlaubt. Der Junge kommt zu Hause zur Welt, umringt von seinen Geschwistern, nach dreieinhalb Stunden stirbt er ruhig in den Armen seiner Mutter. Erst ein Jahr später sichtete die Regisseurin das Material und entschloss sich, das einschneidende Ereignis filmisch aufzuarbeiten. Schmerzhaft ist dieser Blick zurück, intim, manchmal zu intim wirkt diese Chronologie des Hoffens und Bangens, brisant ist die ethische Dimension.

“Mein kleines Kind” tut weh in seiner Schonungslosigkeit, man sträubt sich als Zuschauer gegen diese seelische Tortur und bewundert dennoch die rigorose Offenheit und den Mut zum Privaten.

MARGRET KÖHLER

Tagesspiegel, Berlin 8. August 2002 – Mut oder Medizin? “Mein kleines Kind”

Die sofortige Beendigung der Schwangerschaft ist in dieser Situation der übliche Weg. Das sagt der Arzt nach der Ultraschall-Untersuchung. Katja Baumgarten, alleinstehende Mutter von drei Kindern, erfährt, dass ihr viertes Kind schwerstbehindert ist und nur geringe Chancen hat, die Geburt zu überleben. Sie muss sich entscheiden, ob sie das ungeborene Kind im Mutterleib töten lässt oder es zur Welt bringt, damit es auf natürlichem Wege sterben kann.

Baumgarten treibt nicht ab. Ihrer Freundin, der Kamerafrau Gisela Tuchtenhagen gibt sie bis zur Geburt Auskunft. Der Sohn malt Rosen im blauen Tränenmeer, die Tochter hat ein Tamagochi und erklärt der Mutter, dass man ein neues bekommt, wenn das alte wegen Vernachlässigung stirbt. Auch bei der Geburt ist die Kamera dabei. Die Bilder bleiben behutsam – nach wenigen Stunden stirbt der Säugling.

Katja Baumgarten ist Hebamme und Filmemacherin. Sie, die Expertin, lehnt Krankenhäuser und Schulmedizin in diesem Fall ab. Sätze des Arztes werden in Zwischentiteln eingeblendet. Auch das Unverständnis vieler Freunde wird zitiert – sachlich und dennoch mit unterschwelliger Kritik. Wie kann man nur so unsolidarisch sein. “Mein kleines Kind” ist als kunstlos schlichtes Dokument ein Insider-Film, der gerade in Zeiten der Gentechnik zu denken gibt. Und doch beschleicht die Zuschauerin als Nicht-Expertin ein leises Unbehagen ob der suggestiven Kritik an all jenen, die anders entscheiden würden. Respekt gebührt Baumgarten dennoch – für den Mut, die riskante Entscheidung zur Diskussion zu stellen.

CHRISTIANE PEITZ

Zitty – Kino, Berlin 7. August 2002 – “Mein kleines Kind”

Die schlimmste aller Nachrichten traf sie wie ein Blitzschlag. Bei einer Ultraschalluntersuchung erfährt die seit einigen Monaten schwangere Katja Baumgarten, dass ihr ungeborenes Kind schwere Entwicklungsstörungen hat und vermutlich nicht lange leben wird. Daraufhin trifft die Filmemacherin zwei enorm mutige Entscheidungen: Zum einen wird sie nicht – wie 98 Prozent der Frauen in ihrer Situation – eine “sofortige Beendigung der Schwangerschaft” durchziehen, sondern das Kind zur Welt bringen. Zum anderen entschließt sich die dreifache Mutter, über ihre so intime Problematik einen Film zu drehen.

Das Ergebnis ist ein zu Herzen gehendes Filmessay über Trauer, Leben und Tod. Baumgarten mischt eigene, auch aus dem Off erzählte Gedanken und Impressionen von ihren Kindern, berät sich vor der Kamera mit engsten Freunden. Und lässt uns dankenswerterweise daran teilhaben.

MARTIN SCHWARZ

Ticket, Berlin, 8. August 2002 – Wissen fordert Gewissen

Dies ist keine leichte Abendunterhaltung. Und dass die Geschichte wahr ist, macht Katja Baumgartens Film auch nicht einfacher. Aber darauf kommt es wahrlich nicht an, wenn es um ein Menschenleben, Würde und Seelenfrieden geht. Katja Baumgarten, Hebamme und Filmemacherin, hat ihr persönliches Drama aufgezeichnet: Das vierte Kind, das sie trotz vieler Widerstände freudig erwartet, ist schwer geschädigt und hat so gut wie keine Lebenschance. Der Pränataldiagnostiker rät ohne Zögern zum Schwangerschaftsabbruch. Das stürzt die werdende Mutter in einen grausamen Gewissenskonflikt, den sie in Dialogen mit Freunden und ihrer Familie dokumentiert. Dazwischen montiert sind pulsierende Ultraschallbilder des Embryos und kommentierende Zwischentexte. Das verdichtet den Film, der in der raumgreifenden Geburtsszene mit Kind, Kegel und ausführlicher Plazentabeschau etwas zuviel Gebärkult bemüht. Private Schicksalsschläge zu inszenieren ist oft nichts anderes als peinlicher Exhibitionismus. Nicht bei Katja Baumgarten. Ihr intimer Film stellt die brennende politische Frage nach dem Wert imperfekten Lebens, das die Pränataldiagnostik selektiert. Das Schlussbild der Mutter mit ihrem toten Kind ist friedvoll, ein Rezept für dieses Drama nicht in Sicht.

GUNDA BARTELS

TIP, Berlin 16/2002, August 2002 – Ein Kind wird sterben – Die Intime Dokumentation “Mein kleines Kind” – sehenswert

Die Filmemacherin Katja Baumgarten ist seit 4 Monaten schwanger, als sie erfährt, dass ihr Kind die Geburt kaum überleben wird. Ihr Film beschreibt die folgenden Monate aus der Ich-Perspektive. Eine unmögliche Entscheidung wird von ihr erwartet. Der Untersuchungsarzt rät zu einem Schwangerschaftsabbruch. Was das bedeutet, kann Katja Baumgarten sich vorstellen: “Es begrüßt mich morgens mit Gestrampel, dann geh’ ich hin, und dann strampelt es nicht mehr.” Für eine Abtreibung ist es für sie zu spät. Die Entscheidung, der alleinerziehenden Mutter, die auch als Hebamme arbeitet, ist absolut nachvollziehbar. Doch die im Kommentar gestellte Frage, “Soll es auf der Intensivstation sterben, mit der Medizin zwischen sich und seiner Familie?”, lässt sich nur für Katja Baumgarten beantworten, die eine Hausgeburt will.

“Mein kleines Kind” ist ein sehr persönlicher Film, und er ist über weite Strecken polemisch. Gegenpositionen werden auf der Bildebene umgehend denunziert. Unter dem Kommentar zum Vater, für den ein fünfmonatiger Embryo noch kein Kind ist, liegt die an das Paradies erinnernde Einstellung vom gesunden Sohn, der nackt in einem urwaldartigen Garten steht. Das Bild transportiert den unterschwelligen Vorwurf, dass dieses Paradies dem ungeborenen Kind vorenthalten werden soll.

Schnell geht es um grundsätzliche Immoralität von Schwangerschaftsabbrüchen. Gerade hat der Film die geglückte Hausgeburt gezeigt, das Kind liegt in den Armen der Mutter, da folgt ein Gespräch aus der Zeit der Schwangerschaft. Es geht um Abtreibungsverfahren. An dieser Stelle im Film – das Kind lebt, wie krank auch immer – liegt in der Frage nach einem Schwangerschaftsabbruch schon der Mordvorwurf. Und wer das immer noch nicht begriffen hat, dem verschafft der Kommentar letzte Klarheit, in dem Baumgarten von ihrer Hebammenausbildung erzählt und dem respektlosen Umgang mit Totgeburten und abgetriebenen Föten.

Am Schluss des Films, das Kind ist kurz nach der Geburt gestorben, erzählt Katja Baumgarten von den beiden Wirklichkeiten, die von dem Ultraschallbild ausgegangen sind. Mein Kind – das sei es, was sie gespürt habe, und nicht der diagnostizierte Chromosomenfehler und die im Ultraschallbild sichtbaren Fehlbildungen. Dieses Dilemma beschreibt der Film trotz allem eindrucksvoll.

NICOLAUS SCHRÖDER – Berlin

Preisverleihung beim 17. Internationalen Dokumentarfilmfestival München, 4. Mai 2002

“Eine lobende Erwähnung erhält MEIN KLEINES KIND (Deutschland 2001) von Katja Baumgarten. Die Jury spricht eine Ehrende Erwähnung für einen Film aus, der auf ebenso intime wie zugleich respektvolle Weise ein Thema von buchstäblich Leben und Tod behandelt. Selten ergibt es sich, dass ein Filmemacher so gute fachliche Voraussetzungen hat, sich zu einer Sache zu äußern. In dem mutigen Entschluss, die eigene Bedrängnis zu zeigen, treffen die Fachkenntnisse einer erfahrenen Hebamme, die Liebe einer Mutter mehrerer Kinder und der Kunstverstand einer ausgebildeten Dokumentarfilmerin zusammen. Unterstützt durch die taktvolle Kameraarbeit von Gisela Tuchtenhagen berührt dieser überaus persönliche Film ein Thema von gesellschaftlich-medizinischem und philosophischem Rang. Er kann, so meinen wir, jenen Hilfe bieten, die selbst vor derart aufwühlenden Entscheidungen stehen”

Internationale Jury: CECILIA LIDIN (Mitarbeiterin beim European Documentary Network / Kopenhagen) ANITA UZULNIECE (Filmwissenschaftlerin / Riga) THOM PALMEN (Festivalleiter in Umeå / Schweden) STEFANO TIALDI (Produzent / Italien) OSKAR HOLL (Bayerisches Fernsehen / München)

Blickpunkt Film – 17. Dokumentarfilmfest München: Jüngeres Publikum

(…) Eine lobende Erwähnung erhielt “Mein kleines Kind” von Katja Baumgarten, die hier autobiografisch die schwierige Entscheidung, ein behindertes Kind zu bekommen, beleuchtet. Ein Film, den Festivalleiter Hermann Barth als seinen Festivalliebling bezeichnet, der “nicht nur eine bewegende Geschichte erzählt, sondern auch ästhetisch und dramaturgisch hervorragend umgesetzt ist”.

SALZBURGER NACHRICHTEN, 8. Mai 2002 – Hoffen und lachen – 17. Dokumentarfilmfest München

“Mein kleines Kind” von Katja Baumgarten erhielt zu Recht eine lobende Erwähnung der Internationalen Jury, da sich der Film mit großem Mut an ein Tabuthema wagt. Die Regisseurin schildert mit der Sicherheit einer ausgebildeten Filmemacherin, der medizinischen Fachkenntnis einer qualifizierten Hebamme und der Liebe einer mitten im Leben stehenden Mutter die schwere Zeit von der Geburt und dem Abschied ihres komplex fehlgebildeten Kindes.

CAROLIN DASSEL

ARTECHOCK FILMMAGAZIN – SPECIAL, Dokfest 2002 – Der familiäre Blick

(…) Von der Jury mit einer lobenden Erwähnung bedacht wurde MEIN KLEINES KIND – für mich der bewegendste Film des Festivals. (…)

Mit einfachsten filmischen Mitteln, Texteinblendungen und einer Videokamera, die ihr immer sehr nah ist, dokumentiert der Film die Hilflosigkeit, das Gefühl des Alleingelassenwerdens, die Entscheidungsfindung, die Geburt, das Leben und den Tod. Nach gut vier Jahren hat Katja Baumgarten die notwendige Distanz gefunden, diesen sehr persönlichen aber für uns alle existenziellen Film fertigzustellen.

CLAUS SCHOTTEN


SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 3. Mai 2002 – Sehr persönliche Dokumentation einer werdenden Mutter

(…) Am Mittwoch lief der Film in Anwesenheit der Regisseurin bei den Dokumentarfilmwochen im Kino Breitwand im Seefeld, die parallel zum 17. Internationalen Dokumentarfilmfestival in München stattfinden. Der Film läuft dort im offiziellen Wettbewerbsprogramm um den mit 10.000 Euro dotierten Dokumentarfilmpreis des Bayrischen Rundfunks.

(…) Es entstand ein spannender Film, abseits der Betroffenheitsschiene. In langen ruhigen Einstellungen erzählt der Film von dem Druck, der Angst und den traurigen Gefühlen der werdenden Mutter, die über den Zeitpunkt des Todes ihres ungeborenen Kindes entscheiden muss. Das alles wird spürbar, wird nachvollziehbar und bleibt im Fluss. Das Wasser oft im Bild als Metapher für das was einfach weiterläuft und Hintergrund für die nachdenklichen Kommentare, die Momente der Entscheidungsfindung. Das Kind, das schließlich zu Klängen von Chopin, im Kreise der Familie geboren wird, stirbt nach vier Stunden – in warmer und feierlicher Atmosphäre.

Ein bewegender, ein menschlicher und authentischer Film über das Leben und den Tod. Zugleich auch ein Plädoyer für die Sanfte Geburt und gegen die gängigen Methoden der Schulmedizin. “Ich hatte große Angst, in so eine medizinische Maschinerie zu geraten”, meinte die Regisseurin nachdenklich. “Es war eine Gratwanderung, wenn ich es mir nicht zugetraut hätte mein Kind auszutragen, hätte ich jetzt nicht dieses friedliche Gefühl. Es war leicht ihm das zu geben, was er gebraucht hat”, sagt Baumgarten mit bewegter Stimme über das kurze Leben ihres kleinen Sohnes.

Die Zuschauer diskutierten angeregt. Es sei wichtig, so ein Tabuthema anzusprechen, hieß es, denn es seien mehr Menschen betroffen als man denken würde. Es gebe wenig Rückhalt in so einer Situation, Betreuung sei so gut wie nicht vorhanden und die Aufklärung über das was auf einen zukommt mehr als dürftig, hieß das Fazit der Zuschauer. “Der Film sollte auch die Mediziner zum Umdenken bewegen”, sagte die Regisseurin. Der Film jedenfalls lässt die Zuschauer mit einem Gefühl von Trost und Ruhe zurück. Ein nicht alltägliches Gefühl.

NIKE SAUERWALD

Beratungsstelle für Natürliche Geburt und Eltern-Sein – München, 2. Mai 2002

“Danke nochmals dafür, dass du uns allen deine Erfahrung durch den Film weitergegeben hast. Ein wunderbarer Film: ruhig, nicht pathetisch, keineswegs voyeuristisch. Und mehrere Tabus berührst du damit: den Umgang mit Leben und Tod, Hausgeburt, Selbstbestimmung von Frauen. In unserer Fachstelle Pränataldiagnostik werde ich den Film in meine Arbeit einbauen.”

ROSWITHA SCHWAB – Hebamme, München

“Ich selber war sehr beeindruckt von dem Prozess Deiner Entscheidung und von der wohltuenden Ruhe und Unaufdringlichkeit beim Filmen. Es war mir nicht möglich, gleich etwas zu sagen – was mir normalerweise gar nicht schwer fällt. Da mir eine Tochter sieben Wochen nach der Geburt starb und ich selber auch Frauen bei der Geburt ihrer toten Kinder begleitete, ist mir das Thema selber nicht fremd, habe auch Gutes dabei erlebt. Dein Film hat mich in meiner Tiefe berührt, es war immer wieder ein inneres Ja zu jeder Sequenz dieses Filmes. Nichts Spektakuläres, nichts Beschönigendes, die Suche nach dem nächsten passenden Schritt, das war es für mich. Danke für den Film sagt Dir auch von ganzer Seele…”

EDELTRAUT EDLINGER – Hebamme, München

Hebammen-Info, Verbandszeitung des Bundes freiberuflicher Hebammen Deutschlands e.V. (BfHD)
Heft 4/02- Juli 2002

Gläser klingen, glitzern im Halbdunkel. “Auf das Baby!” viele Gläser, frohe Stimmen, Kinderstimmen. Wir erkennen sofort, obwohl wir im Halbdunkel kaum etwas sehen: ein Kind ist zur Welt gekommen. Zu Hause, im Kerzenschein. Dann ein Ultraschallfilm: der Facharzt für Pränatale Diagnostik hat vielfältige Missbildungen festgestellt. Chromosomenanomalie, das Kind hat eine Lebenschance von 50 Prozent und wird schwer behindert sein. “Sie müssen entscheiden”, sagt er zu der werdenden Mutter in der 20. Schwangerschaftswoche.

Die schwangere Frau ist Katja Baumgarten selbst, Hebamme und Filmemacherin. Gemeinsam mit Kamerafrau und Freundin Gisela Tuchtenhagen dokumentiert sie den Weg ihrer Entscheidung: die Verzweiflung, die Angst, ihre Liebe zu dem wachsenden Leben, aber auch ihre Verantwortung den drei anderen Kindern gegenüber. Vor laufender Kamera spricht sie ihre widersprüchlichen Gefühle aus, schwankt, macht sich die Entscheidung nicht leicht. Beides könnte richtig sein: Abtreibung oder Geburt. auf jeden Fall eine Hausgeburt, wie die anderen auch. Bei diesem Gedanken kommt sie in Kollision mit der Gesetzgebung: sie dürfte jetzt ihr Kind legal abtreiben. Bei einer Hausgeburt ohne Intensivmedizin, könnten sie oder ihre Helferinnen aber Probleme bekommen, wegen “unterlassener Hilfeleistung”. Sie spricht mit ihrer Mutter. Auch die großen Kinder werden mit in die Entscheidung einbezogen: der Älteste, Niki (12 Jahre) ist von Anfang an dafür, dass das Kind zu Hause geboren wird. Paula die mittlere Tochter (10 Jahre) macht sich Sorgen um ihre Mutter, sie will nicht ihr Leben auf’s Spiel gesetzt sehen. Der kleine, Michi ist erst drei Jahre und freut sich auf das Geschwisterchen. Sequenzen aus dem Familienleben – Normalität mit Spaß, Geburtstagskuchen und Geschwisterstreit. Große Offenheit und viel Zärtlichkeit zwischen den Familienmitgliedern. Schließlich ist klar: sie wird das Kind austragen, es zu Hause zur Welt bringen. Sie findet eine Hebamme, die sie betreut, und kann ihre beiden Hausärzte und Geburtshelfer für das Vorhaben gewinnen. Alle sind bei der Geburt dabei: die Kinder, ihre Mutter, die professionellen HelferInnen. Sie alle stoßen schließlich auf die Geburt von Klein-Martin an. Wie bei einer ganz normalen Hausgeburt.

Dieser fast eineinhalbstündige Dokumentarfilm wirkt durchgehend authentisch, sehr einfühlsam, liebevoll aber auch hoch professionell. Er ist zurückhaltend still, er beobachtet, dokumentiert, er moralisiert nicht. Es wird nicht proklamiert: das ist der einzig richtige Weg! Dies ist nicht nötig. Der Wachstumsprozess aller beteiligten Personen vermittelt sich direkt. Trotz des Themas ist er nicht schwer, nicht beklemmend. Das nachhaltige Gefühl, das bleibt nach Ende des Films, ist die Freude über die Geburt und großer Respekt vor der Filmemacherin und Protagonistin Katja Baumgarten. Und Dankbarkeit, dass sie diesen Weg gegangen ist und ihn aufgezeichnet hat.

Ich halte diesen Film für ungeheuer wichtig für alle, die mit der Beratung von schwangeren Frauen im Zusammenhang mit Pränataldiagnostik zu tun haben: Hebammen, ÄrztInnen, SozialberaterInnen. Er sollte zum Pflichtprogramm der Hebammenschulen gehören. Dieser Film ist geeignet, Hebammen, Hebammenpraxen, Frauen eine außerklinische Geburt in einem solchen Fall zu ermöglichen. Dafür ist es notwendig, den Film öffentlich zu zeigen. Sicher kann er auch hilfreich sein für Frauen, die sich in einer ähnlichen Lage befinden oder befunden haben. Sicher kann er schlecht geheilte Wunden aufreißen, aber ganz sicher kann er auch die Heilung einleiten. Ich sehe diesen Film als einen unschätzbaren Beitrag zu einer frauenorientierten öffentlichen Diskussion der Pränataldiagnostik und ihrer Konsequenzen an.

DOROTHEA KÜHN – Hebamme und Vorsitzende des BfHD, Mühlheim

per email an die Filmemacherin

Eine wunderbare Arbeit, weil der Film so deutlich macht, wie sehr wir Frauen den unausgesprochenen Paradigmen einer Gesellschaft ausgeliefert sind. Wie grossartig, wenn das jemand in Frage stellt und es wagt Entscheidungen auf Grund eigener Empfindungen zu fällen. Was für ein Geschenk für Deinen Sohn, ein Geschenk für alle, die diesen Film sehen.

KARIN BERGHAMMER – Hebamme und Filmemacherin, Wien

Es macht einfach Mut, zu sehen, dass die Ausbildung und die darin enthaltenen Erfahrungen im Umgang mit Menschen nicht die endgültige Endstation ist und dass es Möglichkeiten gibt, der Geburtsmedizin zu entkommen. Was ich an ,,Mein kleines Kind” so wunderschön fand, dass Ihre Entscheidung und die Geburt und das würdevolle Sterben Ihres Kindes so ,,logisch” erscheint. Dass auch dieser Lebensweg in Ordnung und abgeschlossen und nicht ,,weggeschafft” / weggemacht worden ist.

ALICE SEMMLER – Hebammenschülerin, Duisburg

Kann mich nicht erinnern, vorher ein so klares und unideologisches Plädoyer für den Wert des Lebens gesehen zu haben.

JENS SCHANZE – Filmemacher, München

FORMAT, Nr. 31 / 26. Juli 2002 – wöchentliches Nachrichtenmmagazin aus Österreich

“So, jetzt müssen Sie entscheiden”
Ein Interview von Klaus Kamolz mit Katja Baumgarten | => Interview

Im Juni 1997 erfuhr die deutsche Hebamme und Filmemacherin Katja Baumgarten, dass ihr Kind schwer behindert sein würde. Sie entschloss sich, es auszutragen und den Schicksalsschlag filmisch unter dem Titel “Mein kleines Kind” zu bearbeiten. (…)

FORMAT: Der Film behandelt Ihre Schwangerschaft mit einem schwer fehlgebildeten Kind. Hatte diese Arbeit auch therapeutische Bedeutung für Sie?

BAUMGARTEN: Dass die Gesellschaft mir in Gestalt des Arztes mitteilte, dass ich jetzt entscheiden müsse, ob ich das Kind kriege oder nicht, war ein tiefer Schock. Ich wollte mit dem Film zeigen, dass das alles nicht so einfach ist. Ich spürte Empörung und großen Widerspruch.

KLAUS KAMOLZ – Wien

Kieler Nachrichten, 18. Juni 2002 – Die ,,richtige” Entscheidung
Kommunales Kino zeigt ,,Mein kleines Kind”

Die pränatale Diagnose war niederschmetternd für Katja Baumgarten. Ihr Kind, erfuhr sie im fünften Monat, würde durch seine Fehlbildungen nicht lange lebensfähig sein. Ärzte legten einen Schwangerschaftsabbruch nahe, wobei dem Fötus eine Giftspritze ins Herz gesetzt würde. Katja Baumgarten entschied sich dagegen. Sie gebar das Kind daheim, wo “Klein-Martin” wenige Zeit später friedvoll entschlief.

Katja Baumgarten ist gelernte Hebamme und Filmemacherin. Ihre Dokumentarfilme beschäftigen sich meist mit Geburt und Tod. Diesmal stand sie ungewollt selbst im Mittelpunkt. Unmittelbar nach der Diagnose rief sie ihre Kamerafrau Gisela Tuchtenhagen an, ließ sie überall dabei sein. Der “fürsorgliche Kamerablick” hebt die Scheidewand zwischen Kameraauge und Kameraobjekt auf. Die Verzweiflung über die Situation und das Ringen um die “richtige” Entscheidung sind nicht inszeniert. Nicht die Gespräche mit der Mutter, nicht die Tränen. Die Kamerafrau ist engste Freundin, Vertraute der Familie. Näher dran kann man nicht kommen.

Dass aus dem Material ein Film würde, wusste Baumgarten anfangs nicht. Lange hat sie das Material nicht angesehen. Vier Jahre brauchte der Film. In der Montage, sagt sie, wurde er immer direkter, kompromissloser. Er ist so intim, dass sich niemand in der gut besuchten Vorstellung Anfang Juni traute zu applaudieren, obwohl nachher ungeteilt Respekt und Lob gezollt wurden. “Mein kleines Kind” ist ein Film, der beklommen macht.

Katja Baumgarten wählte “den direkten Weg”, wie sie sagt. Der Film ist schamlos in der Offenlegung der Angst, weil es die Scham ist, die so viele Frauen dazu treibt, das fehlgebildete Kind töten zu lassen. Ihr Film überwindet die Grenze von “gesund” und “krank”, gibt auch dem abnormalen Wesen seine Zärtlichkeit und Dazugehörigkeit zurück. Das vermeintliche “Monster” ist eben nur anders. Man muss genau hinschauen, denn die Ethik dringt in die Ästhetik ein: dunkles, körniges Material, vernuschelte Stimmen werden “zugemutet”. Sie sind der Preis der Spontaneität. Katja Baumgarten hat gelernt, dass es im gleichen Bild immer zwei Wirklichkeiten gibt: Was der Arzt als Tod geweihten Fötus erkannte, war für sie einfach nur ihr strampelndes Kind. Ihr Film ist ähnlich. Keine Hässlichkeit wird vertuscht, kein Fehler wird medizinisch weggezaubert.

GERALD KOLL – Kiel

Bayern2Radio, 29. Mai 2002 19:00 Uhr bis 19:30 Uhr | => Text der Sendung

Den eigenen Weg gegangen – eine Mutter entscheidet sich für ihr behindertes Kind
Ein Interview von Anne Müller mit Katja Baumgarten

KATJA BAUMGARTEN: Normalerweise ist es so, dass in diesem Schock die Frauen sehr schnell entscheiden. Oft nehmen die Ärzte sofort den Hörer in die Hand, reservieren ein Bett im Krankenhaus und drei Tage später ist schon alles vorbei.
Das Erlebnis arbeitet ja dann trotzdem in einem weiter. Oft habe ich von Frauen gehört, die hinterher gesagt haben: “Das ging alles viel zu schnell!” Sie haben im Schock entschieden und sind gar nicht zu sich gekommen. Das wußte ich, dass ich da vorsichtig sein mußte.
Man ist ja auch erstmal sehr angegriffen, in verschiedener Hinsicht. Man merkt, man verliert sein Kind – also dieser Schreck, dass man sich wirklich von dem Kind verabschieden muß, daß man das lernt – egal wann es sein wird.
Aber auch persönlich, dass man sich angegriffen fühlt – dass in mir etwas so schief gegangen ist. Das ist auch ganz schwer auszuhalten.
Ich kann mir auch vorstellen, dass in so einem Schock, dass man merkt, da ist was nicht in Ordnung mit einem – ‘wieso konnte sich das Kind nicht gut in mir entwickeln?’ – dass da ein Kurzschluss bei vielen ist, das Kind gar nicht mehr zu akzeptieren – weil das wie eine Verletzung für einen selber ist, dass da was schief gegangen ist. Also da brauchte ich ein paar Tage, um wieder klar zu werden und zu sehen: gut das ist jetzt das Schicksal von diesem Kindchen, aber das kann immer passieren.

KOMMENTAR: Die emotionale Wucht und Stärke des Dokumentarfilms “Mein kleines Kind” liegt darin, dass die Zuschauer ganz nah am Entscheidungsprozeß dran sind und an der verzweifelten Suche nach einem Ausweg aus einem Dilemma teilnehmen. Vorzeitige Beendigung der Schwangerschaft? Das, was so harmlos klingt, ist eine unglaublich schmerzhafte Angelegenheit. Das wußte Katja Baumgarten als Hebamme. Der sehr gewalttätige Eingriff – sowohl für die Mutter als auch das Kind – kam für Katja Baumgarten nicht in Frage. Das Kind austragen und sofort in die Kälte der medizinisch-technisierten Welt übergeben? Ebensowenig. (…)

Katja Baumgarten entscheidet sich für eine Hausgeburt, nachdem sie eine vertraute Frauenärztin und den befreundeten Hausarzt zunächst überzeugt und dann als Verbündete gewonnen hat. Sie will ihr Kind in Frieden zuhause gebären und ihm so wenig Eingriffe wie möglich, nur das Nötigste zumuten. Der Film zeigt diese Hausgeburt auf sehr diskrete Weise: Den Kreis von helfenden Menschen um die werdende Mutter und die Freude aller über die Geburt des kleinen Martin. Die Geschwister sind aufgeregt und streicheln sanft ihrem kleinen Bruder über den Kopf. Diese Szene gehört mit ihrer Behutsamkeit, Zärtlichkeit und Freude zu dem Rührendsten im Film. In diesem Moment wird auch verständlich, warum die Filmemacherin ihr Kind nicht auf eine Intensivstation geben wollte. Katja Baumgarten selbst wirkt in der Szene überglücklich, ein Glück, das vielleicht noch über das Mutterglück hinausgeht, da sie so sehr für diesen Moment gekämpft hat und sich gegen alle Widerstände dafür eingesetzt hat. (…)

ANNE MÜLLER – Journalistin, Berlin

Bayern 3 – Kinokritik | Kino | Bayern 3 – Bayerischer Rundfunk 18:48 Uhr, 26.04.02 *****

Das ist einer dieser Filme, die man nie vergisst. Ein Dokumentarfilm, der bewegt, aufwühlt und viele Fragen aufwirft. Zum Beispiel die nach den Grenzen des Autobiographischen, der Initimität und vor allem der Existenz. Denn um die geht es im ursächlichsten Sinn.

Bedingt durch die Anforderung, über die Dauer des Lebens und die Bedingungen des Todes eines ihrer Kinder zu entscheiden, hat sich die Hebamme und Filmemacherin Katja Baumgarten dazu entschlossen dies zu dokumentieren. Von dem Moment an, an dem die pränatale Diagnostik eine Entscheidung verlangt, bis hin zur Geburt des kleinen Martin Tim und seinem späteren Abschied von ihm hielt die Kamerafrau Gisela Tuchtenhagen die Entwicklung fest. So entstand sehr persönliches Videomaterial – Szenen aus dem Alltagsleben von Katja Baumgarten, zusammen mit ihren drei anderen Kindern, eine lange Einstellung, in der die schwangere Frau über den schwierigen Weg zu einem Entschluss räsoniert. Dabei kommt es aber nie zu Momenten des Voyeurismus, auch wenn die Kamera ganz nah dabei ist – bis hin zu der in allen Einzelheiten gezeigten Hausgeburt im familiären Kreis.

Was aus diesen Aufnahmen werden sollte, war Katja Baumgarten damals nicht klar. Mit Abstand (erst ein Jahr nach dem Tod des Kindes) betrachtete sie das Material und entschloss sich dann eine angemessene Form zu finden um dies alles (nicht nur filmisch) zu verarbeiten. Vier Jahre hat das dann gedauert – in denen “Mein kleines Kind” langsam aus den vielen Videoaufnahmen zum Film wurde.

Fazit: Das Ergebnis sind 88 eindringliche Minuten, die niemanden unbewegt lassen werden.

MARKUS AICHER

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 14.2.2002 – Filmfestspiele Berlin

Der Mut zum Privaten … im Dokumentarfilm der siebziger Jahre war das erstmals ein wichtiges Thema. Durch die neuen DV- Kameras sind solche Filme nun noch leichter zu drehen: im Extremfall filmt der Regisseur sich selbst, ohne Team und ohne Budget.

In den Siebzigern waren solche privaten Filme oft Frauensache, im Zuge der Frauenbewegung – Männer waren viel seltener bereit, ihr Innerstes nach außen zu kehren. Ein Frauenprojekt ist Katja Baumgartens autobiografischer Film “Mein kleines Kind”, der in der neuen Reihe “Perspektive deutsches Kino” lief. Katja Baumgarten war vor ein paar Jahren mit der Diagnose konfrontiert, dass ihr ungeborenes Kind schwer behindert sein würde. Sie ist Hebamme und Regisseurin und hatte sich damals spontan entschieden, ihr Ringen um eine Entscheidung, ob sie das Kind austragen soll oder nicht, auf Video aufzunehmen.

Pränataldiagnostik, ein heikles Thema. Katja Baumgarten hat viel gewagt mit ihrem sehr persönlichen Film – und gewinnt. „Mein kleines Kind” ist ein Film geworden, der Überzeugungen erschüttern kann. „Die sofortige Beendigung der Schwangerschaft”, hatte auch ihr Arzt gesagt, „ist in einer solchen Situation der übliche Weg.” Dann sieht man in einer wunderbaren Einstellung, dass dieses kleine Wesen kein “Monster” ist, wie es einmal heißt, sondern ein Kind. Es zu gebären, hat ihm ein Leben und einen Tod in Würde geschenkt und auch der Mutter den Abschied leichter gemacht.

Die Regisseurin hatte das Glück, mit Gisela Tuchtenhagen befreundet zu sein – eine bessere Kamerafrau hätte sie kaum finden können. Tuchtenhagens Bildern ist es zu verdanken, dass der Film nie voyeuristisch oder peinlich wird. Katja Baumgarten hat das Material bemerkenswert analytisch – nicht sentimental oder pathetisch – montiert. So ist „Mein kleines Kind” auch ein Film über den bösen Blick geworden, der Ärzte und Wissenschaftler: Wo die Mutter in den Ultraschallaufnahmen ein strampelndes, lebendiges Kind gesehen hatte, hatte der Arzt nur die Anomalien gesehen.

MARTINA KNOBEN

Mit freundlicher Genehmigung der DIZ München GmbH, Content Syndication

HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG, 12.2.2002 – Bewegende Bilder

Hannover bewegt Berlin: Erst als der Abspann schon fast beendet ist, setzt der Applaus im Berlinale-Kino am Potsdamer Platz ein. Vorher hat sich niemand zu klatschen getraut.
Der Film “Mein kleines Kind” der Hannoveranerin Katja Baumgarten ist ja auch nicht leicht zu verdauen – die Regisseurin selbst erstmal sprachlos, als sie nach der Vorführung vor der Leinwand steht. Baumgartens Geschichte ist wahr, und die Regisseurin hat sie selbst durchgestanden: in der 21. Schwangerschaftswoche eröffnet ihr der Arzt, dass ihr Kind schwer krank sei. Diagnose: komplexes Fehlbildungssyndrom, Verdacht auf Chromosomenanomalie, längere Überlebenschanche nicht gegeben, Schwangerschaftsabbruch in einem solchen Fall üblich. Sie solle sich entscheiden, hieß es ohne jedes weitere Hilfsangebot, möglichst bald.
Baumgarten, Hebamme, dreifache Mutter, Filmemacherin und Lehrbeauftragte an der Kunsthochschule Braunschweig, trieb nicht ab. Stattdessen drehte sie zusammen mit der Kamerafrau Gisela Tuchtenhagen diese autobiografische Dokumentation, die bei den Berliner Filmfestspielen nun in der neuen Reihe “Perspektive Deutsches Kino” für Aufsehen sorgt.

“Mein kleines Kind” erzählt von dem auf Baumgarten lastenden Entscheidungsdruck, stellt nüchterne medizinische Fakten und die Verantwortung für das Leben des werdenden Sohnes gegenüber, zeigt hier Ultraschall-Bilder und dort die Geborgenheit in Baumgartens Familie. Natürlich ist der Film traurig, aber keinesfalls so traurig wie man erwarten würde. Er klagt nicht an, und er ist auch nicht pathetisch. Eher handelt es sich um das liebevolle Protokoll eines angekündigten Todes. Am Ende wird das Baby namens Martin Tim im Hause Baumgarten im Beisein befreundeter Ärzte geboren, bald darauf umringt von seinen Geschwistern Nikolaus, Paula und Michael. Es gibt jede Menge Kuchen, zur Beruhigung der Nerven läuft Chopin, und alle schauen wenigstens ein ganz klein bisschen glücklich aus. Dreieinhalb Stunden nach seiner Geburt stirbt Martin Tim.

Hinterher sagt eine Zuschauerin in Berlin, sie habe Angst gehabt, ob sie es im Kino aushalten würde. Sie blieb bis zum Schluss, so, wie die anderen Besucher auch, und bedankte sich bei der mutigen Regisseurin. Da hat das ganze Berlinale-Kino noch einmal geklatscht.

STEFAN STOSCH

per email an die Filmemacherin

“Das war einer der radikalsten, beeindruckendsten und wichtigsten Filme, die ich während des Festivals gesehen habe. Ich bewundere Sie sehr für Ihre Aufrichtigkeit und Ihren Mut, sich so preiszugeben und darüber klarzumachen, dass es hier nicht um ein “privates” Schicksal, sondern um ein gesellschaftliches und politisches geht. Der Film liefert so viel Diskussionsstoff, dass ich wünschte, er würde eine breite Öffentlichkeit finden. Ich drücke Ihnen ganz fest die Daumen, dass Sie einen Verleih für ihn finden oder ihn einer Sendeanstalt anbieten können, wo er sicherlich am besten platziert wäre.

Ich empfand es übrigens als gute Entscheidung, schon zu Beginn des Filmes die Bilder von der Geburt Ihres Sohnes (was für eine schöne Szene!) zu zeigen und so von Anfang an jede Spannungsdramaturgie zu vermeiden. Es geht nicht um die Frage, wie Sie sich konkret entscheiden werden, sondern um das Herausarbeiten des Widerspruchs, dass den betroffenen Frauen einerseits eine (einsame) Entscheidung abverlangt wird und andererseits diese Entscheidung von medizinischer Seite längst vorgegeben ist. Ich empfand Ihren Film an keiner Stelle moralisierend. Sie treffen die für Sie richtige Wahl und zeigen, wie schwer der Weg dahin ist. Beeindruckt hat mich auch, wie Sie von Ihrer konkreten Situation Kreise ziehen: zur Geschichte der Mutter, zu den Erlebnissen während der Ausbildung. Wie Sie so schrittweise ein facettenreiches Bild aufbauen – mit einem bündelnden Bild im Zentrum, das eben kein eindeutiges ist. Die Reflexion über die verschiedenartige Ausdeutung des Ultraschallbilds am Ende hat mich sehr berührt und nachdenklich gemacht.”

BRITTA HARTMANN, Berlin
Lehrbeauftragte an der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg

DIE TAGESZEITUNG, 20.2.2002 – taz-special zur Berlinale

“Der autobiographische Dokumentarfilm “Mein kleines Kind” ist fast unmöglich als reiner Film zu beurteilen, denn die Filmemacherin und Hebamme Katja Baumgarten hat ihn distanzlos als das Tagebuch einer ihrer Lebenskrisen gestaltet, so dass man zwangsläufig mit dem Film zugleich auch ihr Leben kritisieren müsste, und dies wäre vermessen.

(…) Der Film ist stilistisch genauso kompromisslos wie diese Entscheidung: Der Kontrast zwischen den kalten Medizintechnologen und der warmen Atmosphäre, die die Schwangere in der Familie und bei Freunden erfährt, wird bis ins kleinste Detail hinein dargestellt. Es ist für einen gänzlich Unbeteiligten nicht einfach, sich diesen Film anzusehen. Aber für schwangere Frauen mit dem gleichen Dilemma könnte er eine sonst totgeschwiegene Alternative aufzeigen. Und so eine wichtige Lebenshilfe sein.”

WILFRIED HIPPEN taz Bremen Nr. 6681

BERLINER ZEITUNG, 13.2.2002 – Berlinale – Perspektive Deutsches Kino

“(…) An ethische Fragen rührt (…) “Mein kleines Kind”, in dem die Regisseurin Katja Baumgarten ihr Kind auf die Welt bringt, das wenig später stirbt – obwohl man ein Drittel der Bilder nicht erkennen kann, drängt sich einem der Film in sehr fragwürdiger, unangenehmer Weise auf. (…)”

ULRICH SEIDLER

Deutschlandfunk – Kultur Heute – 14.2.2002
Karin Fischer interviewt Annette Wagner, die den Film auf der Berlinale gesehen hat

Karin Fischer: Perspektive Deutsches Kino auf der Berlinale hat sich zum Ziel gesetzt, das Neue, das Ungewöhnliche, das ganz Besondere des jungen deutschen Films zu präsentieren. Das waren zum Beispiel auf Seiten der Produktionsbedingungen die „99 Euro Films“, über die wir an dieser Stelle schon gesprochen haben. Das war Manfred Walters „80.000 shots“ als Beispiel für die ästhetisch technische Innovation und das ist inhaltlich, und darum soll es heute gehen, Katja Baumgartens Film „Mein kleines Kind“.

Der Film ist ein Dokument von der anderen Seite der Pränataldiagnostik und er enthält eine ganze Reihe von Grenzüberschreitungen. Es geht um eine junge Mutter, die im 5. Monat ihrer Schwangerschaft erfährt, daß sie ein Kind mit schwersten Mißbildungen zur Welt bringen wird. Der normale und von den Ärzten empfohlene Weg ist der erlaubte Schwangerschaftsabbruch. Die Mutter entscheidet sich, das Kind auszutragen. Und: die Mutter ist die Filmemacherin Katja Baumgarten selbst.

Frage zunächst an meine Kollegin Annette Wagner, die den Film gesehen hat: Das ist ja nun wirklich nicht unproblematisch. Schafft dieser Film es denn, den autobiografischen Fallen, bzw. Peinlichkeiten zu entgehen?

Annette Wagner: Mein spontaner Impuls, als ich von dem Film und vom Thema hörte, war: Will ich das wirklich sehen? Und: kann das nicht nur exhibitionistisch sein? Und will ich den autobiografischen verzweifelten Gesprächen so einer Mutter und auch der Geburt des kleinen mißgebildeten Wesens eigentlich beiwohnen?

All das wird in dem Film gezeigt. Aber es ist nicht so, daß es voyeuristisch gezeigt wird oder schamlos gezeigt wird. Der erste Impuls ist natürlich, daß man denkt: „Big Brother“ aus dem Zuhause, „Big Brother“ aus dem Kreissaal – alles öffentlich, das Intimste zeigen. Aber es ist keineswegs so, daß die Kamera nun rund um die Uhr bei Familie Baumgarten zu Hause war, sondern es ist lediglich bei 4 Gelegenheiten gefilmt worden: die langen Gespräche, die sie mit ihrer Mutter führt, in denen sie um die Entscheidung, um die richtige Entscheidung ringt. Es wird gezeigt: einige Situationen, Kindergeburtstag und anderes aus dem Alltag dieser alleinerziehenden Mutter und ihrer 3 Kinder aus den letzten Schwangerschaftsmonaten. Es wird ein Wochenende am Meer gezeigt, wo sie mittlerweile hochschwanger kurz vor der Geburt steht und schließlich diese Hausgeburt. (…)

Und all dies ist in der sensiblen und anteilnehmenden und sehr zurückhaltenden Kamera von Gisela Tuchtenhagen, die wir ja als Kamerafrau von Wildenhahn kennen, aufgenommen. Sie ist gleichzeitig eine vertraute Freundin der Familie, und es gab für mich keinen Moment, der peinlich, distanzlos oder irgendwie exhibitionistisch war.

Karin Fischer: Es ist ja nun nicht nur die Geschichte einer Schwangerschaft unter besonderen moralischen Vorzeichen – so wie ich es verstehe, ist es auch absolut kein Appell von Abtreibungsgegnern, sondern der Film wirft natürlich auch Fragen auf, gerade im Zusammenhang mit medizinischen Möglichkeiten, die wir ja im Moment eher auf einer abstrakten Ebene zu diskutieren in der Lage sind.

Annette Wagner: Eine große Stärke des Films ist sicherlich, daß er einen Weg aufzeigt, aber er keine Haltung vorgibt – es ist ein individueller Weg Katja Baumgartens, aber sie maßt sich nicht an, zu sagen: „so müßt Ihr handeln!“. Das ist das eine Wichtige.
Und das andere ist, daß er natürlich, durch diese individuelle Geschichte, eine Frage diskutiert, die wir auf vielen abstrakten Podiumsdiskussionen, in Zeitungsartikeln hin- und hergewälzt haben. Der Film vermittelt uns auch, was Wohl und Wehe von Pränataldiagnostik sind. Er vermittelt uns zum ersten Mal wirklich spürbar – und das ist die besondere Qualität, in was für Gewissensnöte uns das Wissen stürzt, das Vorabwissen, Wochen und Monate vor der Geburt, nicht nur darüber, ob ein Kind ein Junge oder ein Mädchen sein wird, sondern auch, ob es gesund sein wird.

Die Ärzte nennen das eine Wahlmöglichkeit. Die Frau kann bestimmen über Leben und Tod ihres Kindes. Aber, daß die Entscheidung gegen das eigene Kind, einen ein Leben lang als dunkler Schatten auch begleiten kann, wie schwerwiegend diese Entscheidung eigentlich ist, das wird selten wirklich von den Ärzten bedacht. Es gibt selten eine kompetente Begleitung, eine psychologische Begleitung. (…)

Eine besondere Qualität dieses Films ist, daß er einem kein Urteil aufdrängt. Er sagt uns, Katja Baumgarten hat sich anders entschieden, als es den meisten Frauen von Ärzten nahegelegt wird. Sie hat sich entschieden, ein Kind auf die Welt zu bringen, das schwerst behindert ist. Sie hat den Mut gehabt, es auszutragen, den Mut, es auch ihren anderen Kindern zuzumuten.
Die zweite unkonventionelle Entscheidung an dieser Stelle ist, es kommt nicht im Krankenhaus zur Welt. Es stirbt jenseits dieser modernen Apparatemedizin, jenseits der Hände der Lebensverlängerungstechniker. Es kommt auf die Welt und es stirbt – so wie es vorgesehen war, von der Natur vorgesehen war. Auch eine Entscheidung.

KARIN FISCHER, Köln – ANNETTE WAGNER, Stuttgart

MDR Online – KULTUR, 13.2.2002 – Perspektive Deutsches Kino – Filmrezension

Katja Baumgarten hat mit “Mein kleines Kind” einen ergreifenden Dokumentarfilm gemacht, der viel Nachdenklichkeit und Diskussionsstoff enthält. Ausgangspunkt des Films war ihre eigene Situation: Das Wissen, ein behindertes Kind zu bekommen.

“Mein kleines Kind” ist ein ergreifender Dokumentarfilm. Die Filmemacherin, Katja Baumgarten, Mutter von drei Kindern, ist schwanger. Sie wird nach der Ultraschall-Untersuchung vom Arzt mit der Diagnose konfrontiert, ihr Kind, werde behindert zur Welt kommen und sei möglicherweise gar nicht lebensfähig. Der Arzt rät ihr zu einer schnellen Abtreibung – da ist Baumgarten schon in der 20. Schwangerschaftswoche. Das sei der Moment gewesen, in dem sie sich entschieden habe, einen Film darüber zu machen. Sie rief ihre Freundin, die Kamerafrau Gisela Tuchtenhagen an, sie mit der Kamera in den folgenden Wochen zu begleiten.

Der Film beginnt mit einer kurzen Einstellung nach der Geburt des Kindes. Der Zuschauer beginnt nun also mit dem Wissen um die Geburt des Kindes die Diskussionen und Gespräche der Schwangeren mit einer Freundin zu verfolgen. Versetzt sind diese Einstellungen mit Sequenzen aus dem Ultraschallfilm von der ersten Untersuchung der Schwangeren.

Wo beginnt das Leben?
Im Film wirft Baumgarten all die Fragen auf, die sich bei einer solchen Diagnose für die werdende Mutter stellen: Was soll ich tun? Kann ich dem Kind, das ja schon seit Wochen in ihr wächst, einfach durch eine Abtreibung das Leben nehmen? Was kann ich selbst ertragen? Habe ich das Recht, das Kind abzutreiben und damit schon im Bauch zu töten? Katja Baumgarten bringt das Kind zur Welt. Sie entscheidet sich gegen den Rat der Klinikärzte für eine Hausgeburt. In Gegenwart ihrer zwei Hausärzte, mehrerer Freunde und ihrer Kinder kommt das Baby zur Welt. Es ist ein Junge. Er stirbt nach wenigen Stunden in ihren Armen.

Der Zuschauer bleibt außen vor
“Mein kleines Kind” ist ein äußerst interessantes und bewegendes Dokument. Allerdings gibt Baumgarten dem Zuschauer wenig Chancen, sich ihrem Film zu nähern. Sie und ihr Kind sind die Helden des Films. Sie erinnert die Diagnose und die Argumente des Spezialisten für pränatale Diagnostik aus dem Gedächtnis. Der Mann kommt nie zu Wort im Film. Auch der Vater des Kindes hatte ihr zu einer Abtreibung geraten. Es scheint, als sei es darüber zum Bruch in der Beziehung gekommen. Doch das verschweigt der Film, denn der Mann taucht nie auf in dem Film.

Entsteht aus einer Nabelschau großes Kino?
Baumgarten hat nie versucht und nie vorgegeben einen ausgewogenen Film über eine medizinisch empfohlene Abtreibung zu machen. Sie beschreibt ihre Situation aus ihrer ganz persönlichen Sicht und verleiht all ihren Überzeugungen Ausdruck. Dadurch kann man den Film aber auch leicht als Anmaßung empfinden, als Nabelschau der Regisseurin. Dabei hat “Mein kleines Kind” sicher Diskussionsstoff für das Publikum, aber was macht solch ein Film in einer Reihe, die das Potenzial des deutschen Kinos aufdecken will? Baumgarten hat sich in dem Film selbst zur Hauptdarstellerin gemacht. Ihr Mut, sich in intimsten Situationen filmen zu lassen und ihre Unbefangenheit über persönlichste Sachen vor der Kamera zu sprechen, machen den Film wertvoll. Die Perspektive aber bleibt verdeckt.

STEFAN RUWOLDT


Querelles – Net
 Nr. 6 / März 2002
Rezensionszeitschrift für Frauen- und Geschlechterforschung
Musik, Film und Bühne, Kunst – 52. Berlinale 2002 – Frauen verändern die Welt

(…) Bei dem autobiographischen Dokument “Mein kleines Kind” (Perspektive Deutsches Kino) von der Hebamme und Filmemacherin Katja Baumgarten werden wir Zeug/-innen einer reflektierten und sensiblen Auseinandersetzung mit ethischen Werten und der selbstbestimmten Entscheidung über Leben und Tod. (…)

Mit einfachen Bildern hält der Film fest, wie reflektiert und herzlich Katja Baumgarten mit der Anforderung, über die Dauer von Leben und die Bedingungen des Todes zu entscheiden, fertig wird. Martin Tim wird geboren und erlebt wenigstens in den wenigen Stunden seines kurzen Lebens, was es heißt, auf dieser Welt willkommen und geliebt zu sein. Ein ethisch höchst anspruchsvoller Film, der von der Liebe und der Selbstbestimmtheit einer Frau handelt.

DR. MARIA MARCHETTA, Berlin

Evangelische Zeitung – online Rückblick auf die 52. Berlinale

(…) Katja Baumgarten sitzt da, bestürzt über die Diagnose. Erwartet irgendeinen Rat. Doch der Arzt bleibt neutral, nur sie allein kann eine Entscheidung fällen. Das kann sie nicht. In ihrer Verzweiflung taucht die Idee auf, ihre Not nicht für sich zu behalten, sondern in einem Film festzuhalten. An eine Veröffentlichung des Videomaterials denkt sie zunächst nicht. Sie möchte bloß ihre Desorientierung jemandem anvertrauen.

Vier Tage später beginnt die Erzählung vor der Kamera ihrer vertrauten Freundin. Als Dokumentarfilm wurde der Film unter dem Titel “Mein kleines Kind” jetzt auf der Berlinale uraufgeführt. Wir sehen Bilder einer Frau, die Unverständnis für die “Neutralität” des Diagnosearztes empfindet. Bilder einer Frau, die aus ihrer Berufserfahrung als freie Hebamme weiß, dass die Entscheidung gegen das eigene Kind eine Mutter ein Leben lang als dunkler Schatten begleiten kann. Bilder ihrer drei Kinder zu Hause, die sich über die Ankunft eines kleinen Bruders freuen. Martin Tim soll er heißen.

Das Kind hat nur eine einzige Herzklappe, keine Unterarme, einen offenen Spalt im Rücken. “Aber es strampelt ganz normal, es ist ganz tief in mir verwurzelt, ich kann es einfach nicht als Abfall ansehen”. Freunde raten ihr zum Schwangerschaftsabbruch: Sollte ihr Sohn nur ein paar Monate überleben, würde das Dasein auch für ihn zur Quälerei werden. Die Wochen vergehen. Und schließlich doch ihre Entscheidung: Ja, sie will es austragen.

Bilder einer Hausgeburt. Zum Schluss Bilder eines winzig kleinen Martin Tim, der ganz leise piept und drei Stunden nach seiner Geburt stirbt. Aus dieser autobiographischen und durchaus bewegenden Geschichte wäre ein wertvoller Dokumentarfilm entstanden, hätte sich Katja Baumgarten über ihre wahre Motivation geäußert. Ethische oder christliche Beweggründe waren es nicht. Sie sei nicht getauft, antwortet sie etwas trotzig auf die Frage. “Mein kleines Kind” hinterlässt den Beigeschmack einer Selbstinszenierung. Und vielleicht doch eine Lektion: Dass Betreuungsstellen für Frauen in derartiger Not sinnvoll wären. Und es bietet Diskussionsstoff. Immerhin etwas.

JAQUELINE DELOFFRE

Berliner Morgenpost, 17.2.2002 Neue, erfolgreiche Reihe: “Perspektive Deutsches Kino”

“Zu den Highlights zählen drei ganz unterschiedliche Dokumentationen. (…) Schmerzhaft ruhig ist Katja Baumgartens Blick zurück auf ihre Schwangerschaft, auf die Frage, ob sie ein behindertes Kind abtreiben soll oder nicht, auf Geburt und Tod des Babys. Manchmal beinahe zu intim wirkt die Chronologie der Verzweiflung, “Mein kleines Kind” tut in seiner Schonungslosigkeit weh.

MARGRET KÖHLER

DW-WORLD.DE Deutsche Welle Kultur, 12.2.2002 – Besprechung: Perspektive Deutsches Kino

(…) Ebenfalls beeindruckend ist der autobiografische Dokumentarfilm “Mein kleines Kind”, in dem Katja Baumgarten ihre Schwangerschaft mit dem jüngsten Sohn ab der Ultraschall-Diagnose eines Fehlbildungssyndroms begleitet – und dabei radikal persönlich aber fundiert über Pränataldiagnostik, Abtreibung und Hausgeburten reflektiert. Das Ergebnis ist ein einmaliges Dokument, ohne jedoch als digital gedrehtes “Homevideo” auch filmisch eine Perspektive zu bieten. (…)

INGRID ARNOLD

www.psychatrie.de All die schönen Seelen – Berliner Filmfestspiele 2002

Völlig außer Konkurrenz bleibt der autobiografische Film “Mein kleines Kind” von Katja Baumgarten. Sie ist Hebamme und Filmemacherin und hat bereits drei Kinder. Nun ist sie das vierte Mal schwanger und freut sich auf die Geburt. Eine Ultraschalluntersuchung in der 21. Schwangerschaftswoche ergibt den Verdacht auf Vorliegen einer Chromosomenanomalie 18. Schwere Fehlbildungen, die Überlebenschancen für den Fötus liegen bei 50 Prozent. Die Beendigung der Schwangerschaft ist geboten.

Der Film beginnt kurz nach dieser unerwarteten Mitteilung. Katja Baumgarten grübelt, bespricht sich mit einer Freundin, wägt ab. Dass sie selbst entscheiden soll, ein in ihr lebendes Wesen zu töten, bringt sie in schwere Konflikte. Es folgt eine fast unerträglich lange Phase weiterer Überlegungen, die den Zuschauer ungeduldig werden lässt; Baumgarten macht sich sachkundig, lässt sich intensiv beraten, beschließt schließlich, das Kind regulär zur Welt zu bringen. Befreundete Ärzte und eine Hebamme stehen ihr bei der Hausgeburt zur Seite, alle drei Kinder sind vorbereitet und involviert. Man hält den Atem an, als dann tatsächlich ein blauhäutiges Wesen in die Welt rutscht und im Arm der Regisseurin liegt. Das vorher endlos theoretisch Besprochene verwandelt sich in einen echten “Augen-Blick”, vielleicht ist dies der von Levinas gemeinte und so häufig zitierte Blick in das Auge des anderen. Der Säugling lebt wenige Stunden, und das Argumentieren hat seinen stimmigen Abschluss gefunden.

ILSE EICHENBRENNER

Pressemitteilung des BDH, 9.2.2002

Bund Deutscher Hebammen würdigt auf der Berlinale gezeigten Film

(…) „Der Film “Mein kleines Kind” reicht weit über die persönliche Lebenskrise der betroffenen Katja Baumgarten hinaus. Vielmehr konkretisiert sich an ihrer Lebensgeschichte die fehlende gesellschaftliche Bereitschaft, sich kritisch mit den Konsequenzen der pränatalen Diagnostik auseinander zu setzen”, so Magdalene Weiß, Präsidentin des Bund Deutscher Hebammen (BDH): „Dieser Film ist ein echtes Geschenk an uns alle, denn er fordert zum Nachdenken auf über die Lebenswerte in unserer Gesellschaft.”

DR. EDITH WOLBER, Pressesprecherin des BDH, Meckesheim

per email an die Filmemacherin

“Sie haben dieses Thema mit einer guten Balance aus Emotionen und Fakten bearbeitet. Am Ende des Films erscheint es mir als die natürlichste Sache, so mit einer solchen Diagnose umzugehen, und ich finde es sehr bedauerlich, dass in den meisten Fällen ein schwer krankes Ungeborenes so schnell wie möglich aus der Welt geschafft werden muss.”

SUSANNE NAUSNER, Berlin – Fortbildungsbeauftragte des Berliner Hebammen Verbandes

Bericht von einer hausinternen Filmvorführung im INSELSPITAL, Universitätsfrauenklinik Bern

“Letzten Donnerstag war es also soweit und ich habe Deinen Film vorgeführt. Anwesend waren ca. 70 Personen, mehrheitlich Hebammen und Pflegende, vereinzelt auch ÄrztInnen. Als der Film fertig war, war wieder diese beklemmende Stille präsent, so wie auch damals in Fulda beim Hebammenforschungs-Workshop. Man wünscht sich dann, dass es noch lange dunkel bleibt im Saal…

Der Film ist mehrheitlich sehr gut angekommen und hat natürlich viel Betroffenheit ausgelöst. Für uns als “Profis” eines Spitals, das täglich belastende pränatale Diagnosen stellt, hat Dein Film verdeutlicht, welche enorme emotionale Leistung die Frauen vollbringen müssen, wenn sie mit einer belastenden Diagnosen nach Hause gehen. Wir haben für diese Zeit kein “Angebot” für diese Frauen (vereinzelt bieten wir ihnen ein Beratungsgespräch an bei einer genetischen Beraterin, die auch eine hohe zwischenmenschliche Beratungskompetenz aufweist), und wir sehen sie ja eigentlich erst wieder, wenn sie für den Schwangerschaftsabbruch zu uns kommen.

Es ist uns klar geworden, dass wir für die Zeit zwischen “Diagnose und Handlung” unbedingt professionelle Hilfe anbieten sollten (die wenigsten haben ja ein solch gutes soziales Netz, wie Du es hattest. Das wurde von unserem Arzt vermerkt. Er meinte, dass in Deinem Fall alles sehr ideal verlaufen sei, weil Du eine sehr gute soziale Unterstützung hattest und da ärztliche Hilfe eigentlich gar nicht nötig sei). Ich bin dann als Pflegeexpertin beauftragt worden, mir “dahingehend etwas zu überlegen”.

EVA CIGNACCO, Pflegeexpertin, MNSc, Geburtshilfe – Bern

Gedanken einer Hebamme zu dem Film „Mein kleines Kind“

Eine schwangere Frau, die ein nicht lebensfähiges Kind in ihrem Bauch trägt, entschließt sich, gegen das medizinische Establishment und gegen die soziale Norm, dieses Kind auszutragen, zuhause zu gebären und in Frieden sterben zu lassen. Und da die Schwangere selbst Hebamme ist, entschließt sie sich zudem, diese schwere Aufgabe in einem Film zu dokumentieren.

Dieser Film, „Mein kleines Kind“, auf den ich durch einen Zufall gestoßen bin, noch ehe er mich beruflich betreffen sollte, dieser Film berührte mich auf zweierlei Weise ganz besonders.
Zum einen sprach er mich an als Mutter zweier kleiner Kinder. Und als solche weiß ich wohl um die Ängste und Sorgen um das Ungeborene in meinem Bauch.
Zum anderen war er mir eine große Hilfe, als ich, selbst Hebamme, eine Schwangere mit der gleichen Prognose betreuen sollte.
Ich bewundere sehr die Energie von Katja Baumgarten, in einer solchen psychischen Ausnahmesituation einen Film zu drehen über das eigene Schicksal, und dass sie es mit einer solchen Schonungslosigkeit und Authentizität getan hat. Und doch bleiben die Bilder immer sensibel und würdevoll. Dieser Film ist ein äußerst couragierter Versuch, dieses totgeschwiegene und unter Verschluss gehaltene Thema öffentlich zu machen. Und er zeigt Eltern, die sich in einer solch schwierigen Situation befinden, dass es möglich ist und gut ist, den frühen Tod eines Kindes nicht auszugrenzen in die Anonymität, sondern ihn bewusst im Kreis der Familie zu be-greifen – ja, es geht darum dieses sterbende Kind bei sich aufzunehmen, um es wieder verabschieden zu können. Nur so, denke ich, können Familien gesund aus dieser Erfahrung hervorgehen und schließlich sogar daran wachsen.
Katja Baumgarten stößt mit ihrem Film ein Tor auf, zu einem neuen Raum des menschlichen Umgangs mit dem Tod bei der Geburt. Dafür bin ich ihr als Hebamme und Mutter sehr dankbar.

PETRA SCHUSTER, freie Hebamme – Böbing

von einer Mutter, deren Tochter Magdalana ein ähnliches Schicksal hatte, wie mein Sohn Martin

“Bisher habe ich mich nicht getraut: der Inhalt des Films “Mein kleines Kind” könnte mir alles so deutlich vor Augen führen. Ich wollte noch an ein Wunder glauben… Der Ultraschallspezialist für pränatale Diagnostik hat uns vor ungefähr drei Wochen mitgeteilt, dass unser Baby sehr krank ist. Die Fehlbildung im Gehirn ist so schwer, dass es nicht lange leben wird. Infauste (aussichtslose) Prognose hieß es im Arztbrief. Wir hatten ursprünglich eine Hausgeburt geplant, überlegten aber nach dieser Nachricht noch einmal. Doch es wurde uns bald klar, dass wir unser kleines behindertes Kind zu Hause empfangen möchten. Es sollte die Zeit, die es bei uns sein könnte, so schön wie möglich erleben. Unsere Hebamme Petra hatte sich auch weiterhin bereit erklärt und sich liebevoll um uns gekümmert. Die wichtigste Medizin war zu diesem Zeitpunkt für mich, immer wieder meine Not, meine Trauer, meine Ungewissheit über das bevorstehende Ereignis rauszulassen. Es tat gut, dass die Frau, die bei der Geburt dabei sein wird, wusste, wie es mir geht und ich spürte, ich kann mich ganz auf sie verlassen. Sie geht mit uns durch diese unabwendbare Situation.

Um irgendwelche vorhersehbaren Probleme und Komplikationen zur Pflege unseres Kindes abzuklären, informierte sie sich bei unterschiedlichen Ärzten. Statt Auskunft über Diagnose und entsprechende Verhaltensweisen zu bekommen, wurde sie als unverantwortlich abgewiesen. Sie könnte die Basisversorgung für unser Kind nicht gewährleisten. Das klang sehr widersprüchlich, denn vor der Geburt wäre eine Abtreibung, eine Tötung des scheinbar unvollkommenen Lebens, zu jedem Zeitpunkt erlaubt. Petra war verunsichert. Es könnte auch ihr Beruf aufs Spiel gesetzt werden. Sie rief mich an und in diesem Augenblick wußte ich, jetzt war es dran, den Film anzuschauen.

Ich war allein – aber es tat gut, wie diese Frau im Film genau meine Gefühle ausdrückte. Es war vieles ähnlich wie bei uns: der unfassbare Befund beim ungeborenen Kind, die Rat- und Mutlosigkeit, die Tragweite von diesem Ergebnis für die ganze Familie. Wir haben auch drei schon größere Kinder – ein Tag nach der Gewissheit, dass ich ein krankes Baby zur Welt bringen werde, feierte unser Florian seinen 9. Geburtstag – meine Mutter hatte ihr erstes Kind tot geboren…

Das Wichtigste war: nachdem ich den Film gesehen hatte, wusste ich, genauso möchte ich es für unser Baby. Es war alles so schwer, aber beim Überlegen, wie wir für unser Kind das Beste daraus machen könnten, wurde ich ruhiger. Es blieb uns nicht viel, was wir für unseren kleinen Nachwuchs tun konnten. Aber das wollte ich, es sollte spüren, dass wir es ganz lieb haben, es sollte ganz nahe bei mir sein. Und muss es sterben, dann in meinen Armen, begleitet von der ganzen Familie.
Ich spürte, dass hier der Weg war.

Mein Mann rief nach der Arbeit gleich bei der Mutter vom kleinen Martin an, vielleicht könnte sie weiterhelfen.
Ja, sie bestärkte uns, unsere Richtung zu gehen. Und auch unsere Hebamme bekam von ihr neuen Mut, den natürlichen Weg zu gehen. Wir entschlossen uns gemeinsam, das Krankenhaus, das für unser Kind mit Technik, Schläuchen und fremden Menschen verbunden gewesen wäre, wenn möglich zu umgehen.

Zwei Wochen später schaffte Magdalena, ohne Wehenmittel, (… die nach Ansicht des Arztes höchstwahrscheinlich notwendig wären) sich ihren Weg ins Leben. Sie wurde sanft von unserer Hebamme auf meinen Bauch gelegt – wir konnten sie streicheln und 43 Minuten mit ihr genießen. Die Nabelschnur hörte auf zu pulsieren, die Ärmchen sanken hinunter. Unsere kleine Tochter strahlte einen tiefen Frieden aus… dieser Friede, die Ruhe und Liebe sind die Basis und damit können wir auch weiterleben.”

“Liebe Katja, schön, dass ich dich kennen gelernt habe! Ich möchte dir nochmal sagen, dass es wirklich gut ist, dass du diesen Film gedreht hast. Ich bin mir sicher, daß er so manchen ins Nachdenken und hoffentlich auch zum Umdenken bringt! Eine Bestärkung, den natürlichen… den menschlichen… den menschenwürdigen Weg zu gehen… und die Kompetenz selbst zu übernehmen mit der Gewissheit, dass die eigene Intuition die beste ist!”

UTE STEINHILBER, Rottenbuch

per email – von einer Mutter deren Tochter mit Trisomie 13 geboren wurde. Die kleine Emma lebte 6 Monate – im Kreis ihrer Familie.

“Dass Dein Film nichts “Missionarisches” hat, empfinde ich als besonders wertvoll. Mir hat Dein Film ein großes Stück Horizonterweiterung geschenkt. Er hat mich auf eine tiefe und schöne Art berührt und auch aufgewühlt. Anschließend hat er mir sehr viel Ruhe gegeben, und eine grüblerische Phase ein Stück weit abgeschlossen.”

ANETTE HOLLENDER, Hamburg

Aus dem Brief einer Mutter – sie hat selbst ihr unheilbar krank geborenes Kind 32 Monate zu Hause intensiv gepflegt. Ihre kleine Tochter Annemarie ist in ihren Armen gestorben.

“Meine Eindrücke von dem Film waren sehr innig. (…) Mir hat auch gut gefallen, wie Du den Zwiespalt der Medizin herausarbeiten konntest: einerseits sind sie ohne Aufhebens dazu bereit, ein krankes Kind zu töten, weil es krank ist, andererseits sind sie dann nicht bereit, es ohne angemessene “Versuchszeiten” nach der Geburt sterben zu lassen. Wie schön Deine Familie, Deine Freunde den kleinen Martin Tim empfangen haben; mit wieviel Liebe!!! Musste der Kleine sehr leiden, oder konnte er einfach in Ruhe einschlafen? Mir war das manchmal so schwer, zusehen zu müssen wie mein Kind sich abkämpfte, ohne ihr helfen zu können. Und dennoch bewerte ich die Tatsache, dass ich Annemaries Bekanntschaft machen durfte, als das größte Geschenk meines Lebens. Wie viele Menschen sie berührt hat, das sollte man nicht denken von einem so kleinen, hilflosen Kind! Sie war auf ihre Art unglaublich mächtig.

Deine stillen Tränen, die Verzweiflung, das konnte ich sehr gut nachempfinden. Woher nur die Kraft nehmen, dass überhaupt ein Weiterleben mit diesem Wissen möglich ist – und wenn noch andere Kinder da sind, ist kein Denken daran, sich für den Rest seines Lebens ins Bett zu legen, es muss weitergehen. Vielleicht gottseidank sind sie da??? (…)

Ich habe in der Kinderklinik mit Schwestern gesprochen, die nicht glauben konnten, dass ich, wenn ich von Annemaries Erkrankung gewusst hätte, sie auch bekommen hätte. Ich habe versucht, ihnen zu erklären, dass ich es genossen hätte, die uns zugedachte Zeit mit ihr auf dem Arm zu verleben und zu erleben. Seltsam doch, dass sie sich sehr wohl vorstellen können, dieses Kind einem Arzt und seiner Gewalt preiszugeben, ohne es zu beschützen. Aus Angst, dass dieses Kind, wenn es geboren würde, zu sehr würde leiden müssen. Ich kann nicht glauben, dass ein Schwangerschaftsabbruch für das Kind (den FETEN!!!?) schmerzlos ist. Es empfindet doch!!?. Nur sieht man es dann nicht…

Ich bin froh, dass Du dieses heiße Eisen anpackst und thematisierst.”

MICAELA OERTEL

per email an die Filmemacherin

“Der Film ist Ausdruck größter Entscheidungsnot, er macht deutlich, wie tief verwurzelt eine Mutter mit dem Ungeborenen ist und wie gewalttätig eben darum ein Abbruch auch für die Mutter ist. Trotzdem hat er in mir auch ganz viel Hoffnung geweckt… Autonomie in einer eigentlich ausweglosen Situation. Wie stark kann man sein? Ich glaube, Deine wirklich wunderbaren Kinder haben Dir sehr geholfen, oder?

Was vor allem nach Ansehen des Films bleibt, ist ein Gefühl des Friedens. Auch wenn mir die letzte Einstellung von Martin auf Deinem Bauch, nach seinem kurzen, aber sicher schönen Leben, sehr nahe gegangen ist. Er sieht so friedlich aus, und auch Dein Gesicht wirkt unglaublich gelöst.”

HEIKE NICKEL – Journalistin

per email an die Filmemacherin

“Du erlaubst ein tiefes Miterleben. Ich finde es ganz wunderbar, wie Du Deine drei größeren Kinder miteinbeziehst in das Leben und Sterben ihres Geschwisters, wie sie um Dich sind und sie Euch auch begleiten. Auch Deine Mutter ist sehr bewegend.”

MARION PORTEN – Künstlerin, Frankfurt

DEUTSCHE HEBAMMEN-ZEITSCHRIFT

(…) Die Filmemacherin ist nicht nur einen beispiellosen Weg gegangen, sondern es ist ihr auch gelungen, diesen auf sensible, umfassende und absolut authentische Weise der Welt zugänglich zu machen.

Als ZuschauerIn gewinnt man einen tiefen Einblick in die Nöte einer Frau, die sich plötzlich für oder gegen das Leben ihres Kindes entscheiden soll: Die Vielschichtigkeit der Entscheidungssituation wird deutlich dadurch, dass der Film uns an den Gedanken, Träumen und Gesprächen der Schwangeren und schließlich an der Geburt des kleinen Kindes teilnehmen lässt. Formal unterstreicht der Film die vielen Aspekte der Entscheidung durch wohlüberlegte Szenenwechsel, Zeitsprünge und die liebevollen, aber auch aufwühlenden kleinen Szenen am Rande, die alle ihren festen Platz und ihre Bedeutung haben. Bisweilen muss man als BetrachterIn auch lächeln.

Die Diagnose stürzt die Schwangere sichtbar in eine tiefe Krise. Dennoch bleibt ihr Verhältnis zum Kind, das in ihr strampelt, im Kern heil. Die Filmemacherin im Gespräch mit ihrer Mutter: „Das was ist, ist ja eigentlich gar nicht so schlimm, aber die Bilder und Vorstellungen von dem, was kommen wird…“Und das ist etwas Wesentliches am Film – er handelt von zwei verschiedenen gleichzeitigen Wirklichkeiten, die sich bis zum Schluss erhalten: Die eine ist schockierend und heillos, denn sie handelt von einem Kind, dessen Körper den Bedingungen des realen Lebens auf die Dauer nicht gewachsen ist.
Die andere handelt von einem kurzen Leben, das neun Monate und dann noch einmal dreieinhalb Stunden währt und dennoch vollkommen ist und etwas Unnachahmliches für seine Nachwelt – und so auch für uns als BetrachterInnen – hinterlässt. Alles ist eben relativ.

Martin Tim stirbt still auf dem Bauch seiner Mutter. So endet der Film: Ein Bild der Harmonie und Eintracht zwischen Mutter, Kind und seiner Umgebung. Die Erfahrungen von Geboren werden und Sterben werden auch von uns als BetrachterInnen so nah beieinander erfahren, dass sie eine ebenso tiefgreifende wie versöhnliche Normalität hinterlassen.

Bewunderung und Dank gebührt den beiden Filmemacherinnen für ihren bewegenden und tröstenden Film. Und Katja Baumgarten sei gedankt für den Mut, den eigenen intimen Lebensbereich zu veröffentlichen, für andere erfahrbar zu machen und damit in die aktuelle fachliche und öffentliche Diskussion einen Beitrag zu geben, der eben nicht „aus der Ferne“ abwägt.

Auf diesen Film haben Hebammen vielleicht gewartet. Aber auch für ÄrztInnen, PsychologInnen und PolitikerInnen – für alle, die in irgendeiner Weise mit Pränataler Diagnostik und daraus resultierenden Entscheidungen zu tun haben – ebenso Mütter, Väter und SchülerInnen ist der Film eine Quelle für einen erweiterten Blick auf das Leben im Allgemeinen und eine neue Sicht auf die möglichen Konsequenzen Pränataler Diagnostik im Besonderen (siehe auch DHZ 11/2000, S. 602 – 610).

LIESEL NIEDERSTUCKE

Österreichische Hebammenzeitung

(…) Der Film wurde beim deutschen Hebammenkongress in Dresden zum ersten Mal in Fachkreisen gezeigt. Die Kolleginnen haben offensichtlich auf diesen Film förmlich gewartet, ihn gebraucht – ein Film, der so persönlich und offen erzählt, was es bedeutet, in eine solch fürchterliche Entscheidungssituation zu kommen und einen eigenen Weg finden zu müssen. Viele Hebammen sind heute als Betreuende mit diesen Entscheidungssituationen konfrontiert und überfordert.

Katja Baumgarten entscheidet sich, die Schwangerschaft auszutragen, obwohl diese Entscheidung als allein erziehende Mutter von drei Kindern fast über ihre Kräfte geht. Doch sie kann sich auch nicht gegen das Kind „in ihrer Mitte” entscheiden, es abtreiben und so töten. Sie bringt Martin Tim im Kreis ihrer Familie und mit Unterstützung einer couragierten Hebamme und einem Arzt und einer Ärztin zu Hause zur Welt. Sie verlässt ihre Mitte nicht, sie bleibt mit ihrem Sohn in Verbindung, von der Schwangerschaft bis in seinen Tod hinein, mit ihren anderen Kindern und den Menschen, die bei ihr sind und bleiben. Sie tritt mit diesem Film sogar in Verbindung zu den Menschen, die ihn sehen und lässt teilhaben an einer entscheidenden Verwandlung, einem anderen Weg des Umgangs mit Pränataldiagnostik, Behinderung und Tod.

Es ist schwierig, einen solchen Film überhaupt formal zu beurteilen. Aber die ineinander geschnittenen Szenen aus der Schwangerschaft und während der Geburt sind auch auf dieser Ebene sehr gut gemacht: Flexibilität ist gefordert, ein anders Zeitgefühl, große Nähe und eine notwendige Distanz, um zu sehen und zu verstehen. Es bleibt Hochachtung vor den beiden Frauen, die den Film gemacht haben und besonders vor dem Mut, den Katja Baumgarten mit ihrer Entscheidung und dieser Arbeit beweist. Es bleibt Dankbarkeit und Erleichterung, dass es den Film gibt, zum Lernen und Weiterempfehlen, auch an Frauen und Eltern, die einen Weg suchen, vielleicht einen ganz anderen einschlagen oder eingeschlagen haben; für Menschen, die in Verbindung bleiben wollen.

DOROTHEA RÜB

anthrosana – Verein für ein erweitertes Heilwesen
Heft Nr. 203/2001 Das Sterben ist auch Geburt – 
Zwischen Ankunft und Abschied

Nur dreieinhalb Stunden dauerte das kurze Leben von Klein-Martin zwischen seiner Geburt und seinem Sterben. Denn Martin ist schwerstbehindert zur Welt gekommen. Seine Mutter, eine professionelle Hebamme, wusste, dass “mein kleines Kind” nicht lange würde leben können. Trotzdem: als sie dies in der 22. Schwangerschaftswoche vernahm, konnte sie sich nicht entscheiden, konnte nicht handeln. Bringt darum ihr Kind zur Welt, feiert mit ihren drei größeren Kindern seine Ankunft. Begrüßt Klein-Martin auf Erden, begleitet ihn – wenn er nun schon mal kommt, kommen will, kommen muss – durch sein kleines Leben. Geborgen liegt er auf dem Bauch seiner Mutter, ihre Hände umfassen diese kleine Handvoll Leben. Halten ihn auch im Tod umfangen.

Ein Bild das bleibt. Ein Gebet. Ein Liebesdienst im tiefsten Wortsinn. Statt der sinnlosen Fragen “Warum?”, “Wozu?”, “Was hat das für einen Wert?”. Der kleine Bruder zeigt dem Neugeborenen sein Spielzeugauto. Trotz allem wird mit Champagner angestoßen, Kuchen gegessen. Der Geburtshelfer gratuliert der Mutter zur mutigen Hausgeburt. Sie strahlt. Einmal streichelt die Großmutter über die Schulter der Tochter hinweg das Gesicht ihres Enkels. Eine moderne “Anna Selbdritt”. In den Gesprächen während der Schwangerschaft erzählt die Großmutter, dass man ihr damals den totgeborenen Sohn weggenommen und in einem zugedeckten Plastikeimer entsorgt habe. Sie habe die Hebamme gefragt, wie er denn ausgesehen habe. “Ja meinen Sie, ich schau mir das auch noch an!” war die Antwort. Jetzt kann sich die Großmutter liebevoll vom sterbenden Enkel verabschieden. Ein Schmerz über Generationen. Und eine versöhnende Geste. “Mein kleines Kind” – eine große Frage, eine große Erfahrung. Und sei es für Außenstehende nur im Spiegel dieses Dokumentarfilms.

URSA KRATTINGER

aus einem Brief an die Filmemacherin

PUA Beratungsstelle zu vorgeburtlichen Untersuchungen und bei Risikoschwangerschaften

“Der Film hat mich tief berührt und mir bleibt nur der Dank für das Vertrauen, das Sie ja nicht nur mir, sondern auch allen anderen Zuschauer/innen schenken, in dem Sie mich und diese teilnehmen und miterleben lassen, was Sie und Ihre Kinder und Freunde/innen mit Ihrem kleinen Kind erlebt haben. Es ist, wie wenn man in ein Schatzkästlein sieht. Und so geht es mir auch, wenn ich in ähnlicher Weise mit Eltern diese oft so schwierigen Zeiten durchlebe, durchleide und diese tiefen Erlebnisse und Erfahrungen bei allem Schweren, einem ein ungeahntes Glück erschließen können.”

ANNEGRET BRAUN, Leiterin der Beratungsstelle, Stuttgart

aus einem Brief an die Filmemacherin – HEBAMMENSCHULE GIESSEN

“Wir haben Ihren Film “Mein kleines Kind” auf dem Hebammenkongress in Dresden gesehen. Er beeindruckte und überwältigte uns. Wir bewundern Ihren Mut und Ihre letztendliche Entscheidung.

Ein weiterer uns ansprechender Aspekt waren Ihre Erfahrungen als Hebammenschülerin. Wir fühlen und denken ähnlich und sind Ihnen dankbar, daß sie auf diesen Punkt aufmerksam gemacht haben.”

HEBAMMENSCHÜLERINNEN STINE & JULIA

Info3– Pietá – eine Ikone

Diagnose: nicht lebensfähig. Katja Baumgarten zeigt in einem beeindruckenden Dokumentarfilm die Entscheidungsnot zwischen Mutter und Kind auf.

Es gibt Filmbilder, die bleiben fürs Leben. Etwa der Engel Bruno Ganz im Himmel über Berlin, der mit wissend-mitfühlendem Blick auf die Menschen in dieser Stadt schaut, oder das von Wahnsinn aufgewühlte Gesicht des Dichters Lenz im gleichnamigen Film nach Büchners Novelle, oder Max von Sydow am Ende eines Bergman-Films, wie er auf einer Landstraße, immer wieder die Richtung wechselnd, immer kleinere Strecken hin und her geht, um am Schluss zusammengekrümmt am Boden im Stillstand zu enden: Auswegslos. Du kannst wählen, links oder rechts, entscheide dich! Nur, dass es nirgendwo hinführt.

Die Mutter, die in der 22. Woche durch „Missbildungsultraschall” erfährt, dass ihr Kind nicht lebensfähig sein wird nach der Geburt, ist in dieser Lage: „Sie müssen entscheiden!” Abtreiben oder eine Totgeburt oder der todgeweihte Säugling unter dem Operationsbesteck der Chirurgen. Auswegslos. –

Die ganze Verzweiflung der Mutter, die doch nur ihr Kind unter dem Herzen fühlt, wird der Freundin mitgeteilt, die die Videokamera hält, die alles festhält. In entrückter Gleichmut nimmt die Kamera die Tränen der Verzweiflung auf und gibt sie an uns weiter. Schwer zu ertragen. Die Tränen sind echt. Es ist ein Dokumentarfilm im besten Sinne. Ohne Polemik wird deutlich, wie die professionelle Nüchternheit des diagnostizierenden Arztes brutal wirkt, wenn „Ich” es bin und „mein Kind”.

Es reift die Überzeugung eines Weges, der einfachste und schwierigste zugleich. Das Kindlein so anzunehmen, wie es ist; es heranreifen zu lassen, wie es reift es zu gebären, wie es geboren wird und bei ihm zu sein im Tode – einfach Schicksalsbegleitung zu üben.

Aber so einfach ist dieser Weg nicht zu gehen. Abtreibung, zur Not bis kurz vor der Geburt, ist legal und wird empfohlen, wer aber das Kind gebiert und dann sein Sterben begleitet, ohne alle medizinisch-technischen Möglichkeiten voll auszureizen, macht sich strafbar.

Und jetzt ereignet sich das „Wunder der Freundschaft”, wie es ein Diskussionsteilnehmer im Anschluss an die Filmvorführung nannte: Ein Freund (nicht der Vater) ist da und stützt und tröstet während der Geburt, die Großmutter und die drei Kinder, die Hebamme und eine Ärztin und ein Arzt, beide Geburtshelfer, sind alle da und unter kreatürlichem Stöhnen und Seufzen wird „mein kleines Kind” geboren.

Die Mutter, selber Hebamme, nabelt es eigenhändig ab. Martin, wie sie ihn nennt, ist sehr klein und schwach, er lebt und gibt zarte Laute von sich. Einmal legt sie ihn an, die Geschwister streicheln vorsichtig sein Haar, der Jüngste zeigt ihm sein Spielauto. Klein-Martins Leben ist sehr kurz: Es dauert dreieinhalb Stunden. Alles ist relativ.

Es gibt Bilder aus Filmen, die werden zu Ikonen und bleiben fürs Leben. Die letzte Einstellung zeigt die nackte Mutter, das Kind liegt auf ihrem noch immer stattlichen Bauch nahe bei der stillbereiten Brust. Hier, auf dem lebenswarmen Leib der Mutter, im Kreise seiner Familie ist Martin friedvoll entschlafen. Pietá – die Mutter hält ihr totes Kind

JOHANNES DENGER, Heilpädagoge


Allen, die mir ihr Einverständnis gegeben haben, ihre Kommentare zu meinem Film an dieser Stelle zu veröffentlichen, sei herzlich gedankt. Jede der vielfältigen Betrachtungen hat mich berührt und angeregt. Aus allen spricht, welch starkes Gegenüber der Film in seinem Publikum gefunden hat.

KATJA BAUMGARTEN