Ärztin

Marina ist Ärztin.
Mit ihr arbeite ich als Hebamme bei Hausgeburten zusammen.
Sie ist auch unsere Hausärztin und betreut mich in dieser Schwangerschaft.
Hier eine Ultraschalluntersuchung im September. 7 Wochen vor der Geburt.

Damals, im Juni, hatte mich Marina
für eine besondere Ultraschall-Untersuchung zur Organ-Diagnostik
zu einem Spezialisten überwiesen.
Ohne Verdacht – zu meiner Sicherheit, daß mein Kind gesund ist.

Als sie das Ergebnis kurz danach erfährt, versucht sie, mir Mut zu machen:
„Das Kind hat immerhin 50 % Chancen, daß es das erste halbe Jahr überlebt!“, hat sie in ihren Fachbüchern nachgelesen.

Mich ermutigt und beruhigt das nicht.
Meine Ärztin, selbst Mutter von vier Kindern,
kennt die Belastung gut, unter der ich im Alltag stehe.

Wir besprechen beide Möglichkeiten:
den Schwangerschaftsabbruch und das Austragen des Kindes.
Mit Marina spreche ich auch über eine Geburt bei mir zu Hause.
Sie hat eine andere Auffassung als ich: als engagierte Ärztin, möchte sie meinem Kind jede medizinische Hilfe geben.

Operationen – zum Beispiel des Herzfehlers
oder des offenen Rückens – sofort nach der Geburt.
Vielleicht wird ein Kaiserschnitt notwendig.

Für mich sind operative Eingriffe – in diesem Fall –
nur noch Maßnahmen,
die mein Kind höchstens verstören könnten.

Soll es auf einer Intensivstation sterben,
mit der Barriere der Medizin zwischen sich und seiner Familie?

Angstvolle Fantasien, daß es als ohnehin „aussichtsloser Fall“
zu chirurgischen Übungen verwendet würde.

Unsere unterschiedlichen Sichtweisen stehen eine Zeitlang gegeneinander.

Irgendwann bin ich sehr angestrengt, fast verletzt darüber,
daß die Ärztin mein Kind mir gegenüber verteidigen möchte.
Schwierig auszuhalten –
welche Lebenswerte haben Vorrang?

Zum Schluß sagt Marina, daß sie mir in jedem Fall helfen wird:
wenn ich mich entscheide, mein Kind weiterzutragen,
auch bei einer Hausgeburt.

Immerhin jetzt die Ahnung einer möglichen Lösung.
Trotzdem lasse ich mir noch Zeit mit der endgültigen Entscheidung.