Hebammenschülerin
Ich erinnere mich an die totgeborenen Kinder,
die ich als Hebammenschülerin gesehen hatte:
Im Spülraum wurden sie abgelegt,
auf Plazententellern oder Nierenschalen,
allenfalls mit einem OP-Tuch bedeckt.
Wir sollten sie anschauen zu Lernzwecken –
einige Mitschülerinnen haben sich gegruselt.
Bestürzt waren wir alle.
Manche dieser toten Kinder hatten Fehlbildungen oder waren winzig,
mit durchscheinender roter Haut.
Einer der Oberärzte war schon damals auf Pränataldiagnostik spezialisiert
und „sammelte“ die „interessanten“ Föten.
Während meiner Ausbildung, 19 oder 20 Jahre alt,
habe ich dreimal bei vorzeitigen Geburtseinleitungen
am Bett neben den wehenden Frauen gesessen.
Völlig unerfahren, habe ich versucht,
sie bei ihren qualvollen Geburten zu unterstützen.
Eine der Frauen hat mir hinterher das Buch „Der kleine Prinz“ geschenkt.
Eine ausgebildete Hebamme stand diesen Müttern nicht zur Seite:
ich sollte klingeln, um den Arzt zu rufen „wenn es soweit ist“
was ich überhaupt noch nicht einschätzen konnte.
Einmal hatte der Oberarzt während einer Ultraschalluntersuchung
einen siamesischen Zwilling diagnostiziert.
Zu der schwangeren Frau, noch auf der Untersuchungsliege,
sagte er unter anderem den Satz:
„Sie haben ein Monster im Bauch!“
Die Frau hat es nicht gewagt,
ihre Kinder nach ihrem Kaiserschnitt noch einmal zu sehen.
Im Nachtdienst habe ich ihr davon berichtet,
was ich mittags im Unterricht gesehen hatte:
Ein Wesen oder zwei?
Es hatte einen Kopf aber zwei Gesichter – wie ein Januskopf.
Von jedem Gesicht gehörte jeweils die Hälfte zu dem einen und zu dem anderen Kind. Ein gemeinsamer Körper mit vier Armen und vier Beinen.
Ich war sehr bewegt von dem Geschöpf und hatte es lange betrachtet.
Für mich war es nicht monströs, sondern zauberhaft.
Wie die Verkörperung eines mythischen Wesens, das auf der Welt nicht leben konnte.
Es war direkt nach dem Kaiserschnitt gestorben.
Ich fürchte, allein und auf diesem Metallteller,
auf dem es uns kurz darauf präsentiert wurde.